Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich

Geliebte Ziffernnoten… …oder wie schön es ist Dinge in Schubkästen bzw. auf einem eindimensionalen natürlichen Zahlenstrahl sortieren zu können. Die Logik von Schulnoten hat sich mir nie wirklich erschlossen, wie auch, deren Zustandekommen ist ja ein höchst intransparenter Prozess. Das Problem ist aus meiner Sicht, dass die komplexe Vieldimensionalität der Bewertungskriterien für ein Lebewesen (selten dessen Leistungen) das dort „bewertet“ (dem also ein Wert zugeschrieben wird) werden soll auf eine schön einfache Eindimensionalität abgebildet wird. Dabei steht man mathematisch vor dem Problem, dass letztlich eine Gewichtung der Dimensionen die „bewertet“ werden erfolgen muss. Es muss also eine Transformationsregel existieren z.B. eine Einheit Kreativität ist soviel wert wie zwei Einheiten Fleiß. Was also der Grundschüler in Mathematik so ziemlich als erstes lernt, nämlich, dass man Äpfel nicht mit Birnen zusammenwerfen kann, genau das wird mit der Ziffernnote gemacht. Mathematisch/statistisch korrekt spricht man dann allerdings fairerweise von einem Indikator. Hier gibt es eine schöne Übersicht der Fehlerquellen dieses Indikators und zur Leistung insgesamt.

Wie schlecht dieser Indikator tatsächlich funktioniert, das hat Herr Brügelmann (Arbeitsgruppe Primarstufe, der Uni Siegen) nun einmal mehr untersucht (und davor Herr R. Ulshöfer und davor Herr G. Schröter und davor Finlayson, Eells, Osnes, Baurmann, Coffman, Starch/Elliot, Weiss, Carter, Hadley, Ingenkamp, Hartog/Rhodes, Kvale, Moeller, Birkel, …). Und das Ergebnis? „Die Zeit“ schreibt „Schlechte Zensur für Noten“ – das erinnert an das Paradoxon einen Kretaer zu fragen, ob es stimmt das alle Kretaer lügen – dumme Zeit!

Herr Brügelmann jedenfalls hat seine Ergebnisse ganz frisch in einer Kurzfassung eines Notengutachtens zusammengestellt. Die Langfassung kann seit dem 13. Juni beim Grundschulverband bestellt werden, der das Gutachten beschreibt mit den Worten: „Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich. Eine Wissenschaftliche Expertise des Grundschulverbandes.“

Fazit:
Wer an Ziffernnoten festhalten will, weil sie angeblich objektiv und vergleichbar seien bzw. erforderlich, damit SchülerInnen sich auf die Anstrengungen des Lernens einlassen, findet in der Empirie keine stützenden Belege für seine Position.

Update 19.2.2007
Gabi Reinmann hat einen weiteren Beitrag mit dem Titel „Die Panik geht um: Benoten wir zu gut?“ erstellt. In Ihrem Text kritisiert die Hochschullehrerin die Situation wie folgt:

Wir denken ja fast nur noch in der Kategorie „assessment of learning“ (vor allem seit Bologna) und setzen damit die Tradition der Schule fort, die in den meisten Fällen nicht daran interessiert ist, was Schüler können, sondern was sie nicht können, und wo sie Fehler machen.

Sie verbindet die angeblich zu guten Noten eher mit einer Entwicklung, die begrüßenswert erscheint, nämlich der Verweigerung der Schullogik von Notenvergabe zu folgen – die wenig positive Eigenschaften hat, Schüler erfolgreich bis zum Lernziel zu führen – und stattdessen ein zukunftsfähiges, zielorientiertes „assessment for learning“ zu betreiben:

Ich behaupte einmal, dass zumindest bei einem Teil der Disziplinen und Fächer, die man jetzt an den Pranger stellt wegen ihrer angeblich zu guten Noten, unter Umständen dieser Grund vorliegt, nämlich dass Hochschullehrer nicht gewillt sind, die Schullogik der Leistungserfassung weiter fortzusetzen, dass sie lieber ein „assessment for learning“ praktizieren.

Update 29.6.2007
Das Thema Noten ist doch immer wieder für eine riesige Schlagzeile zu gebrauchen, das dürften auch die großen Medienverlage wissen. Wer benotet ist in der Machtausübenden Funktion, und dieses bislang einseitige Verhältnis aufzuheben, ist www.spickmich.de angetreten umzusetzen.
Und sofort hat es wieder einmal „Booom“ (Spiegel Online) gemacht in Sachen Noten: www.spickmich.de ist als Plattform zur Bewertung von Lehrern angetreten, und… wie sollte es auch anders sein, die Lehrer schicken die Rechtsanwälte (Beleg als PDF). Ein Machtaffront gegen ein Machtmonopol, so werden es wohl viele Lehrer sehen. (Ich frage mich wie es wohl die angehenden Lehreramtsstudierenden der Uni Bremen sehen, ich werde sie demnächst mal fragen!)

Ich glaube diese Denke werde ich jedenfalls nie verstehen, wenn jemand mir ein Feedback gibt, den Rechtsanwalt zu schicken ist eine höchst fragwürdige Vorbildfunktion. Vielleicht prozessieren deshalb soviele Schüler und Eltern um ihre Abiturnoten gegen Lehrer. Wie dem auch sei, anstatt sich mit Feedback auseinanderzusetzen, werden die Schutzschilde hochgefahren und selbst Schulleiter sind sich nicht zu schade, ihre eigene Macht zu missbrauchen, um in Lautsprecherdurchsagen vor www.spickmich.de zu warnen (wobei das wohl de facto eher als Werbung nach hinten losgegangen sein dürfte).

Statt zu prozessieren, sollte die Schule sich vielleicht einmal die Benotungsfunktion von spickmich.de genauer ansehen. Denn vor allem eines ist bemerkenswert: Die Noten bei spickmich.de beheben ein Defizit, das Schulnoten seit Jahrhunderten haben! Die Noten bei spickmich.de bewerten klar und aussagekräftig EIN EINZIGES Kriterium, z.B. „Menschlichkeit“, „Unterrichtsqualität“, „Kreativität“, „Prüfungsgebahren“ usw. Die GESAMTNOTE wird nur angegeben, als rechnerischer Index zur groben Orientierung, weil der Computer die Daten eben leicht zu einem arithmetischen Mittelwert berechnen kann, aber interessant für die Schüler UND die Lehrer sind die Einzelausprägungen der Bewertungsmerkmale und nicht die Gesamtnote.

Hier wird von Schülerseite eine erstklassige Innovation in dem Benotungsinstrument vorgestellt und das Einzige was deutschen Schulen dazu einfällt ist es gegen die Innovation mit dem Rechtsanwalt vorzugehen. Ich kann dazu nur ganz persönlich sagen, das Lehrer und Schulleitungen die das tun, sich damit vor allem eines geben: Ein eloquent selbstausgestelltes Armutszeugnis!

Um es nocheinmal deutlich und mit Nachdruck zu sagen:
Ich finde was spickmich.de aufgebaut hat klasse. :-D
Ich finde es nicht nur klasse, sondern auch notwendig, denn ohne Druck von Aussen geht es ja scheinbar nicht. Die nächste „Geschäftsidee“ wäre aus meiner Sicht, dass die Schüler sich in einer Plattform gegenseitig ebenfalls Noten geben können. So könnte durch die Kollektive Bewertung bei der jeder Schüler einer 25-köpfigen Klasse 24 Bewertungen erstellt, eine wesentlich breitere Bewertungsbasis entstehen, die aufgrund des viel höheren N ganz anderen Kriterien genügt.

Update 10.8.2008
Warum Zensuren (engl. Grades) das Lernen negativ beeinflussen hat ein Beitrag aus den USA belegt: Alfie Kohn schreibt in seinem Beitrag „From Degrading to De-Grading“ im HIGH SCHOOL MAGAZINE darüber. Das Bamboo-Projekt greift das auf und schreibt „De-Grading the Workplace“, denn das gleiche gilt für den Beruf. Zitat:

  • Grades tend to reduce student interest in learning.
  • Grades tend to reduce students‘ preferences for engaging in challenging tasks.
  • Grades tend to reduce the quality of students‘ thinking.

Stoff zum Nachdenken!!

Update 7.2.2009
Ohhh, hier kommt einer perfekte Ergänzung meines Beitrags. Ein weiterer Baustein der Argumentation gegen die derzeitige Benotungspraxis. Im Weblog shift schreibt die Bloggering Lisa Rosa in dem Beitrag „Der Fall Czerny und die schulische Notengebung“ wie die bayrische Grundschullehrerin Sabine Czerny disziplinarische Maßnahmen zu spüren bekommen hat, weil sie Noten an die Schüler vergeben hat, die nicht der Normalverteilung entsprachen. Die berliner Tageszeitung TAZ hat über diese Disziplinierung einer bayrischen Lehrerin berichtet (Artikel 1, Artikel 2). Da das ganze in München stattfand, ist das für mich Anlass genug, dieses Posting auch in die Kategorie München mit aufzunehmen. Weitere Hintergrundinfos zu diesem Ereignis gibt es in einem Beitrag „Abgestrafte Lehrerin: Zu gut für dieses Schulsystem?“.

Update Freitag der 13.2.2008
Offenbar ein schlechter Tag für spickmich.de, denn der Verband Bildung und Erziehung hat spickmich abgestraft heute.

„Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht in dieser Website den lehrerpolitischen Dauer-Tiefschläger des Jahres 2008“

090212nasser_schwamm_name_klein_01Womit die Pauker ja mal wieder bewiesen hätten, dass Bewertung nur in eine Richtung genehm ist, vom Lehrer zum Schüler. Umgekehrt ist es natürlich Schikane, klar. Statt sich den Realitäten neuer Transparenz zu stellen, denken die Lehrer immer noch, sie könnten im Verborgenen agieren im Raumschiff Schule. Vielleicht sollte spickmich.de im Gegenzug einfach den den „Nassen Sack“ verleihen. Ich weiß sowieso nicht, was Negativ-Auszeichnungen Konstruktives bewirken sollten. Es war klar, dass gerade aus dem Erziehungsbereich mal wieder eine Negativauszeichnung kommt. Defizite aufzeigen und auf andere mit dem Finger zeigen, das ist ja auch viel einfacher als die guten Dinge zu loben. Mal wieder ein eloquent ausgestelltes Urteil über den VBE selbst. Wer bewertet verrät mindestens soviel über sich selbst, wie über den Bewerteten. Gratulation dem VBE für das nicht Einstecken können aber nur Austeilen können.

Why do I blog this? Ich interessiere mich für Gesetzmäßigkeiten. Da bei Schulnoten mit schöner Regelmässigkeit eine Normalverteilung heraus kommt, fragt man sich doch zwangsläufig warum? Ist das ein Naturgesetz? Kann ja eigentlich nicht sein, denn es ist etwas Kulturelles was der Mensch selbst erschaffen hat. Eigentlich kann es ja zudem nicht sein, dass jede Klasse eine ideale Stichprobe für die Gesamtheit der Schüler in den Schulen darstellt (zumal die Notenvergabeverfahren ebenfalls in der Lehrerschaft einer Unregelmäßigkeit unterligen müssten, also zwei Unregelmässigkeiten zusammentreffen müssten und damit noch unregelmäßigere Ergebnisse erzeugen sollten). Das zumindest sagt mir mein normaler Menschenverstand. Ich würde eher extrem links- und rechtsschiefe Verteilungen erwarten. Mein Vorschlag wäre (angeleht an das Pareto-Optimalitätsprinzip) zwei Indikatoren gleichzeitig durchgängig für die gesamte Schulzeit zu haben. Das würde bedeuten einen neuen komplementären Indikator einzuführen oder besser nur ein solitäres Bewertungskriterium durchgängig mitzuführen – quasi die Doppelnote. Am Besten wäre es wenn diese Bewertung durch Peer-Bewertung der Schüler unter sich zustande käme. Dann hätte man eine weitere wichtige Dimension und eine Vergleichbarkeit zwischen Schüler- und Lehrereinschätzung hinzugewonnen. Das würde die Situation nach meiner Ansicht schon um 80% verbessern.

RoboCup 2006 (Live; zu Ende)

Die Live Übertragung ist hier zu sehen als Stream.

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Nun ist die RoboCup WM auch schon vorbei, schade! Die Ergebnisse stehen fest. Die „NUbots“ (von der University of newcastle, Australien) haben in der 4legged-League das Final gewonne, die „Microsoft Hellhounds“ (Universität Dortmund, Deutschland) waren jedoch bis zum Schluss sehr gut dabei und haben letztlich die „Technical Challenge“ insgesamt gewonnen. Eine Übersicht aller Teams kann man hier sehen. Ich habe den RoboCup am Samstag selbst das erste Mal besucht und muss sagen ich bin beeindruckt.

Ich habe mir alle League’s angeschaut und bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Symphatie für Unterhaltung und Ästhetik den Aibo’s gilt, meine Symphatie für Spieldynamik und Realitätsnähe der Middle-Sized League bzw. den „fahrenden Tonnen“. An den Aibo’s hat mich einfach auch die gute Beobachtbarkeit der Spielzüge fasziniert. Auch die Innovation der Spielzüge mit der vom „German Team“ entwickelten „Assbomb“ (eine Technik den Ball unter den Beinen des Aibo hindurch nach hinten zu spielen) fand ich absolut faszinierend. Ein Vortrag über die Funktionsweise wie ein Aibo sich orientiert hat mir dann auch die Augen geöffnet wie schwierig es im Prinzip ist, überhaupt die Positionierung auf dem Platz hinzubekommen. Interessant ist übrigens, dass das Siegerteam seinen Quellcode für die Robotersoftware allen Teilnehmern nach dem gewinn zur verfügung stellen muss, damit bei der nächsten WM wieder annähernd gleiche Chancen herrschen. Das finde ich eine gute Sache!

aiboGanz allgemein bin ich vor allem von der kreativen Nutzung bzw. dem „Misuse“ der verschiedenen Technologien für eine im Prinzip sehr unterhaltsame Sache wie Fussball begeistert. Die Aibo’s z.B. sind nie dazu konstruiert worden Fussball zu spielen, und laufen daher eigentlich nicht auf den Gelenken, sondern normalerweise auf den Füßen. Die schlichte Umprogrammierung der Roboterhunde ist es, was den meisten Eindruck auf mich gemacht hat. Sony hat sich sicher nie vorgestellt, dass die Vierbeiner einmal zum Fussball antreten werden. Ich hoffe daher, dass die japanische Firma ein Einsehen hat und den Hund (der dieses Jahr vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Programm genommen wurde) auf die eine oder andere Art wieder ins Produkt-Programm aufnimmt. Nicht zuletzt weil er schlicht ein unnachahmlicher Symphatieträger (nicht nur für Sony) ist.

Auch wenn die Diskussion um Roboter schnell mit kritischen Fragen zur Ethik und Arbeitsplätzen verbunden wird, für die Unterhaltung, zum Lernen und zum Spielen finde ich Roboter uneingeschränkt einfach nur Klasse. Das ist mein abschließendes, laienhaftes Fazit nach einem Besuch auf der KI-Tagung und dem RoboCup am Samstag.

Weitere Infos:
Schöner Bericht bei heise.de
The Tokyo Lectures Archive about KI and Robotics (Rolf Pfeiffer)

Update 11.4.2007
Auch eine spannende Veranstaltung ist die LEGO Sumo Robotics Championship. Ein beeindruckender Film (DivX Plugin nötig) der dritten Runde dieses Wettkampfs zeigt wie simple Strukturen („fahrende Rampe“ bzw. „Blue Wedgie“) recht erfolgreich sind. Auch der Film der zweiten Runde ist absolut sehenswert.

One Laptop per Child Project

Ethan Zuckerman berichtet in seinem Blog über den Fortgang des One Laptop per Child Projects (OLPC) das von Nicholas Negroponte (MIT, USA) 2005 ins Leben gerufen wurde.

Zitat aus der Projekt-Webseite:
One Laptop per Child (OLPC) is a new, non-profit association dedicated to research to develop a $100 laptop—a technology that could revolutionize how we educate the world’s children. This initiative was first announced by Nicholas Negroponte at the World Economic Forum at Davos, Switzerland in January 2005.

Interessant ist der Blick auf das entworfene Laptop allemal und deshalb hab ich es hier einmal als Bild eingefügt. Zitat: „It’s got bunny ears – antennas for the 802.11s wireless radios, which are designed to self-assemble meshes with other laptops. The ears fold down to cover the USB, power and mic ports, an excellent design for the sorts of dusty environments I can imagine the device used in.“

Update 14.7.2006:
Weitere Seiten die auch kritische Informationen zu dem Projekt bereithalten, das sonst eher dadruch auffällt, dass es weitgehend kritiklos in den Medien auftaucht, gibt es hier:

  1. Cultural Morality?
  2. Thoughts About the $100 Laptop Project
  3. Open Letter der G 1:1 Group

Update 23.8.2006:
Jochen Robes hat mich auf einen Film aufmerksam gemacht, der Nicholas Negroponte zeigt, wie er das Projekt bei den TED talks vorstellt. Auch den Hinweis auf den wikipedia-Artikel halte ich hier fest, um mehr Infos zu sammeln. (via weiterbildungsblog.de)
Kürzlich habe ich einen Standpunkt gelesen, der mir sehr symphatisch erscheint: „Man sollte eines von den Laptops für 300 Dollar kaufen, wenn dafür zwei davon kostenlos an Personen gegeben werden, die diese benötigen.“

Update 25.1.2007
Soeben habe ich den Video-Podcast von der DLD07 Conference mit dem Titel „How to be good?“ angeschaut. Allein so ein Titel sollte einen ja schon etwas skeptisch machen, denn was „gut“ und was „böse“ ist liegt meiner Ansicht nach vollkommen im Auge des Betrachters, oder es bräuchte eine allgemein akzeptierte Regel bzw. Definition, wenn man einen solch general-adressierenden Titel wählt, aber das nur nebenbei (Das hab ich auch schon mal in Bezug auf das Motton von Google „Don’t be evil.“ gesagt).
In dem Video-Podcast behauptet Nicholas Negroponte etwas, was mich wirklich sehr zum Nachdenken anregt:

„You’re not gonna have peace in the world as long as you have poverty and the only way to eliminate poverty is education.“

Dem ersten Satzteil stimme ich zu in der Hinsicht, dass es auf jeden Fall Krieg gibt, solange Extreme Ungleichverteilungen von Zahlungsmittelfazilitäten sich immer weiter verschärfen. Ich frage mich aber bei dem zweiten Satzteil Folgendes: Ist das wirklich so? Führt der einzige Weg aus der Armut über Bildung? Andersherum gedreht: Hat also ein bislang unbemerkt gebliebener Bildungsabbau die vermeintlich „armen Länder“ in die Armut geführt? Oder hat die Ursache der von Negroponte anklagend erwähnten Armut vielleicht gar nichts mit Bildung sondern mit nicht vorhandenen Zahlungsmittelfazilitäten zu tun? Angenommen, dass Bildung der einzige Weg wäre, ist dann ein Laptop der effizienteste und nachhaltigste Weg die Bildungssituation zu verbessern, oder gibt es effizientere und nachhaltigere Wege 1,5 Mrd Kindern, die weder fliessend Wasser noch Elektrizität haben Bildung zu offerieren? Wie gesagt, das sind ganz einfache Fragen. Die ich am liebsten Herrn Negroponte selbst stellen würde. Negroponte sagt er verfolgt ein altruistisches „Non-Profit Modell“ mit dieser Initiative. Gerade deshalb würde ich die Frage nach der Effizienz und der besonderen Verantwortung seiner voranschreitenden Bemühungen im Besonderen stellen, denn die „Shareholder“ die sonst in einem „Business“ diese Funktion ausüben fehlen ja bei einem „Non-Profit“-Unternehmen.

Der Moderator bemerkte, wenn das Vorhaben „Gutes“ zu tun nicht funktioniert, kann das ziemlich schnell zu vielen neuen Problemen führen, die man eventuell nicht mehr in den Griff bekommt (Beispiele für diese Art Vorgehen und die Folgen gibt es genug!). Wenn Negroponte dann auch noch ganz offen von einem „Trojan Horse Approach“ für die Etablierung einer besseren Bildung spricht, dann finde ich das nicht wirklich Vertrauen schaffend. Eine weitere Frage von mir wäre also: Warum braucht es ein solches trojanisches Pferd für ihr Vorhaben Herr Negroponte?

Update 8.5.2007
Der Spiegel schreibt „WEB 0.0: US-Schulen schwören Computern ab“, das gibt doch einen schönen Anlass auch über andere Computer in der Welt nachzudenken, z.B. das OLPC Projekt.

Zitat aus dem Artikel:

„Nach sieben Jahren gibt es keinen Beleg dafür, dass der Einsatz von Computern im Unterricht die Leistung der Schüler auch nur ansatzweise verbessert hätte“, sagte Mark Lawson der „New York Times“. Lawson ist Chef der Schulbehörde in Liverpool im US-Bundesstaat New York. Sein Bezirk hatte als einer der ersten im Land flächendeckend Laptops für alle Schüler eingeführt – ein Schritt, den Lawson mittlerweile bereut.

Update 10.5.2007
Eine sehr lesenswerte Replik hat Gabi Reinmann in Ihrem Blog dazu verfasst. Titel: „Notebooks im Unterricht ade?“. Darin entlarvt Sie die Schlagzeile der NY Times als lange bekannte Erkenntnisse, die jedoch vernachlässigen, welche zusätzlichen Fähigkeiten von den Schülern erlernt werden, die nicht durch die Standardtests für Schulleistungen erfasst werden.

Reinmann schreibt weiter:

Wer hofft, mit einer neuen Technologie revolutionäre Änderungen in Schulen bewirken zu können, hat weder menschliches Lernen noch das Funktionieren von Schule verstanden. Medien-Initiativen, auch Notebook-Initiativen, die von solchen Prämissen ausgehen, sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Mobile Technologien wie Notebooks bringen zwar deutliche Bildungspotenziale mit sich: Schneller und leichter Zugang zu Inhalten, flexibler Einsatz einfacher Lernsoftware bis hin zu komplexen Simulationen und Planspielen sowie neue Kommunikations- und Kooperationswege.

Das sind jedoch wohlgemerkt Potenziale und keine Merkmale neuer Technologien an sich: Wer einseitig am traditionellen Frontalunterricht, an den klassischen Lehrer- und Schülerrollen sowie an Paukzielen festhält, wer also nicht auch den Unterricht mit dem Einsatz von Notebooks ändern will und ändert, muss fast zwangsläufig enttäuscht werden.

Klingt für mich plausibel. Niemand würde z.B. auf die Idee kommen, die interne Kommunikation in einer Organisation zu verbessern durch das Anschaffen von Handfunkgeräten. Denn ob Menschen miteinander reden ist meist eher eine Frage des (Werte- und Ziel-)Verständnisses und nicht der zur Verfügung stehenden Technik. Gabi Reinmann hat dem WDR ein Interview gegeben, in dem man einige der Anmerkungen per Audio wiederfindet. Hier der beitrag als mp3:

[audio:http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/mp3/leo20070510_lernen_reinmann.mp3]

Update 12.5.2007
Dirk Frank und Richard Heinen von der Initiative „Schulen ans Netz“ haben ebenso wie Gabi Reinmann sich die Frage gestellt „Kritik an Computern in der Schule zu undifferenziert?“ platziert. Natürlich trifft die Meldung der NYT auch einen empfindlichen Nerv. Besonders schön fasst es ein Mathe-Prof. zusammen: „Es ist eine Binsenwahrheit, dass man zum ‚Mathepauken‘ keine Computer braucht.“

Ich bin der Ansicht, dass es mich heutzutage absolut faszinieren würde, wenn ich mit leistungsfähigen Softwares wie z.B. Grapher, Mathematica, MathLab im Mathematikunterricht arbeiten dürfte. Eine noch bessere Alternative wäre es für mich, wenn ich mein „eigenes Mathematica, Grapher oder MathLab“ als Software entwickeln könnte. Es ist mir schon oft passiert, dass ich beim Entwickeln von Software für meinen privaten Bedarf mich plötzlich in Mathemathik-Büchern am Blättern wiederfand. Bestimmte Probleme bzw. Wünsche lassen sich eben nur mit Mathematik umsetzen und der Comuter kann einen dazu bringen, dass man sich ganz von selbst plötzlich für Mathematik interessiert. Das ist ein grandios ungenutztes Potenzial, wenn die Schule einfach Business as usual macht und für Lernende keine Herausforderungen bereithält ausser der langweiligsten aller Herausforderungen: Pauken! (via Gabi Reinmann)

heise schreibt heute über eine „LAN-Party für Eltern“, eine LAN Party für Pauker wäre vielleicht auch nicht grade die schlechteste Idee. Unter Umständen müssen die Pauker dann aber vielleicht Ihr schön geordnetes Bild vom „Killerspiel“-Jugendlichen wegwerfen, das könnte also gehörige kognitive Dissonanzen hervorrufen.

Update 21.1.2008
Auf der LIFT conference 2007 hat Sugata Mitra (Prof. of Educational Technology) Ergebnisse einer wirklich spannenden Forschung vorgestellt. In dem sogenannten Hole-in-the-wall experiment wurden in Indien experimentiert mit der Weitergabe von Computerwissen. Folgenden Filmbeitrag kann man sich dazu ansehen:


Aufzeichnung des Vortrags mit dem Titel „Outdoctrination: Society, Children, Technology and Self Organisation in Education“

Ich finde diesen Beitrag ja allein schon deshalb ganz spannend, weil Herr Mitra auch Stellung zur OLPC-Initiative kritisch Stellung bezieht. (via LIFT conference)

Update 23.1.2008
Ulrike Reinhard hat zwei sehr gute Videos über Prof. Mitra von der DLD08 mitgebracht. Super sehenswert!! Hier sind sie: VIDEOS ZEIGEN

Projekt scheinbar am Ende

Update 14.3.2014
Unter dem Titel „Goodbye One Laptop per Child“ hab ich heute den Eindruck gewonnen, dass das Projekt jetzt wohl endgültig eingestellt wurde.

With the hardware now long past its life expectancy, spare parts hard to find, and zero support from the One Laptop Per Child organization, its time to face reality. The XO-1 laptop is history. Sadly, so is Sugar. Once the flagship of OLPC’s creativity in redrawing the human-computer interaction, few are coding for it and new XO variants are mostly Android/Gnome+Fedora dual boots.

Das klingt nach dem eher üblichen Problem des Supports eines Device über seine geplante Life Expectancy hinaus. Oder aber die Lebenszeit der Rechner wurde von Beginn an nur unzureichend bedacht. Ein typisches Problem komplexer Rechnerprodukte. Da einige sicher viel Energie in das Projekt investiert haben ist das natürlich traurig. Andererseits sollten sich vielleicht Projekte die in 5 Jahren wieder Ähnliches starten wollen auch mal ehrlich fragen, welche Fehler hier so alles gemacht wurden.

Why do I blog this? Ich finde es wirklich interessant, welche Ansätze es gibt, der sogenannten Dritten Welt zu helfen. Hier soll offenbar E-Learning dazu benutzt werden. Ob dieses Laptop aber die Probleme der Einwohner dort zu lösen vermag, wo wir doch schon hier genug Herausforderungen mit E-Learning und dessen sinnvollem Einsatz haben? Gut finde ich jedenfalls, dass es offenbar gelungen ist ein solches Gerät für knappe 100$ herzustellen. Das könnte auch hierzulande für die Bekämpfung der „Digital Gap“ helfen. Aber ebenso weiss mittlerweile auch jeder aus Aktionen wie z.B. „Schulen ans Netz“, das Hardware allein nicht viel zu ändern vermag. Für Veränderung braucht es die Menschen und deren Begeisterung, damit sie damit umgehen lernen und die Neuerung einführen und Ihr Akzeptanz verschaffen.