BaFin: Eine Verpflichtung der Kreditinstitute zur Entgegennahme von Münzgeld besteht tatsächlich nicht

Sicher geht es mir nicht allein so, dass ich zu Hause einige Münzen gesammelt habe… Münzen die bei der Benutzung von Bargeld irgendwie überproportional die Geldbörse ausbeulen und die man zwecks Defragmentierung des eigenen Geldbeutels ab und an beiseite tut.

Ich sammel die jetzt schon einige Jahre. Mein Behälter dafür war jetzt voll und ich dachte ich bring den Kram einfach mal zur Bank. Ja, falsch gedacht, geht nämlich nicht. Jedenfalls nicht wenn die eigene Bank dafür keinen Automat betreibt an dem man das machen kann.

Daher habe ich eine Mail an die BaFin geschrieben. Das ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, jene Behörde, die gerade kolossal in ihrer Aufgabe versagt hat den Wirecard Coup rechtzeitig als Betrug zu erkennen und stattdessen fleissig selber mitgezockt hat.

Die Frage

Folgende Frage schrieb ich per Mail an poststelle@bafin.de:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wende mich mit einem Anliegen an sie von dem ich nicht in meinen kühnsten Vorstellungen gedacht hätte dass es notwendig ist.

Es geht darum dass offenbar alle Banken die Dienstleistungen im Rahmen der Finanzinfrastruktur Deutschlands anbieten, einer Ausnahme in der Teilnahme am Waren- und Güterverkehr unterliegen, die keinem einzigen anderen Marktteilnehmer gestattet wird, denn offenbar gilt derzeit Folgendes bzw. wird von den Banken für sich in Anspruch genommen:

1. Banken dürfen offenbar die Annahme von Bargeld verweigern

2. Banken dürfen offenbar die Annahme von Bargeld sofern sie diese ausschließlich ihren eigenen Kunden anbieten mit saftigen Gebühren belegen

Keinem einzigen anderen Marktteilnehmer ist dieses Vorgehen gestattet, da es Bargeld gegenüber Buchgeld bei jedem Zahlungsvorgang benachteiligen würde. Es würde ein Aufschrei durch Deutschland gehen, wenn der Supermarkt um die Ecke Bargeld(ein)zahlungen mit einer Gebühr belegen würde. Noch absuder wäre es, wenn der Supermarkt nur den Kunden die eine Kundenkarte von ihm haben Bargeld(ein)zahlungen erlauben würde und DENNOCH den eigenen Kunden gebühren für Bargeld in Rechnung stellen würde.

In meinem konkreten Fall möchte ich der Zahlungsmittelinfrastruktur Deutschlands gerne meine über mehrere Jahre gesammelten Münzen (in Form von 1,2,5,10,20,50 Cent sowie 1 und 2 EUR im Gewichtsumfang von einigen Kilogramm) wieder zukommen lassen, damit auch die Gesamtkosten für den Betrieb der Zahlungsmittelinfrastruktur gesenkt werden können, weil z.B. die Bundesbank keine neuen Münzen drucken muss, wenn bestehende den Weg zurück in das Zahlungsmittelsystem finden können.

Doch gerade dies ist bei meiner Bank, der 1822direkt offenbar nicht mit vertretbarem Aufwand möglich. Aktueller Stand: Eine Reise von Bremen nach Frankfurt ist nötig, um aktuell auf vorgesehenem Weg eine Einzahlung vornehmen zu können, da offenbar nur die Frankfurter Sparkasse eine Bargeldeinzahlung von mir als Kunde akzeptiert.

Hiermit wende ich mich an Sie als Vertreterin der Verbraucherrechte gegenüber dem deutschen Bankwesen, und möchte sie dringen bitten hier für eine Lösung zu sorgen.

Konkret:

1. Bitte klären sie mich auf, ob es eine Ausnahmeregel für Banken gibt, von der ich bisher nichts wusste, die Banken zu besonderen Marktteilnehmern erklärt, die NICHT dazu verpflichtet sind Bargeld wie ALLE anderen Marktteilnehmer anzunehmen

2. Bitte klären sie konkret mit meiner Bank 1822direkt (Ein Unternehmen der Frankfurter Sparkasse), auf welchem Weg ein für mich eine Bargeldeinzahlung für oben aufgeführtes Vorhaben möglich ist, OHNE dass hier eine Zahlungsmiteldiskriminierung stattfindet (in Form von zusätzlichen gebühren, oder Ähnlichem)

3. Zusätzlich möchte ich sie bitten, auf eine Regelung hinzuwirken, die verbraucherfreundlich ist und es JEDEM am Zahlungsmittelsystem teilnehmenden Marktteilnehmer erlaubt kostenfrei (i.e. ohne Benachteiligung von Bargeld(ein)zahlungen) bei JEDER Bank Geld einzahlen zu dürfen, das auf jedes beliebige Konto bei jeder beliebigen Bank mit Sitz in Deutschland (i.e. unter Aufsicht der BaFin stehend) gebuchte werden kann.

Ich sehe es als eine fundamentale Aufgabe eine Bank an Geld anzunehmen, und dieses einer beliebigen Person oder Organisation zukommen zu lassen.
Maximal würde ich eine Buchungsgebühr in Höhe der bisher üblichen Transaktionskosten akzeptieren, egal ob ich Kunde- oder Gast-Einzahler bei der Bank bin.

Für Rückfragen stehe ich gerne per E-Mail und auch postalisch zur Verfügung. Sollte es keine befriedigende Lösung für mein Vorhaben geben, werde ich in erwägung ziehen mit geeigneten NGO’s dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen und eintsprechend eine Klarstellung im Finanzrecht mit Hilfe sämtlicher Rechtsmittel zu erwirken die einem Bürger der Bundesrepublik Deutschland zugänglich sind.

Mit freundlichem Gruß,

Soweit mein – zugegeben etwas geharnischtes – Anliegen das ich an das „Referat VBS 3“ für Verbraucherbeschwerden richtete.

Nun kam die Antwort zurück und die lässt doch einigermaßen tief blicken mit was für einer komfortablen Machtposition sich die Banken da über die letzten Jahrzehnte offenbar die lästigen Verbraucheranliegen wegreguliert haben per Gesetz.

Die Antwort

Da muss ich erstmal ein Lob loswerden wie zügig die Antwort kam. Ich hatte mich schon drauf eingestellt, dass ich jetzt monatelang nichts mehr davon hören werde und dann einen Standardantwortbrief gespickt mit Wieselei-Textbausteinen erwartet. Stattdessen hat mich die Antwort allerdings dann inhaltlich mehr als nur überrascht. Hier die Antwort (einige Textstellen habe ich aus Gründen des Datenschutzes geschwärzt, diese beeinflussen die Aussage des Textes aber nicht wesentlich).

Schlussfolgerung

Aus meiner Sicht ist eine dringende Änderung nötig von BGB §675 Absatz 5 Satz 1 einerseits UND §1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 & 2 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) andererseits. Und natürlich gehört das Münzgesetz, insbesondere §3 Absatz 1 Satz 2, angepasst.

Jetzt ist bloß die Frage, glaubt in diesem Land, bei diesen Politikern & Parteien noch jemand daran, dass es da eine Änderung geben wird? Insbesondere einem Bundesfinanzminister der SPD in der Regierung mit seinem persönlichen Track-Record in „Sachen Geld den Anderen/Banken/Großkonzernen geben“ – ich sag nur HSHNordbank, CumEx, Lufthansa, Wirecard, etc. – also ich leider nicht mehr.

Why do I blog this? Ich bin supersauer darüber dass ausgerechnet Banken offenbar bargeld ablehnen dürfen. Geldangelegenheiten sind deren einziger Zweck, das ist ihr Kernbusiness. Für mich bleibt das unfassbar und das möchte ich nicht als Argument gegen Bargeld verstanden wissen (Bargeld erfüllt eine wichtige Funktion: Diskriminationsfrei zu sein) sondern als Argument für eine härtere Gangart gegenüber den Banken in Deutschland.

Planetarer Kobayashi-Maru-Test

Was wenn unsere Zivilisation nur ein ausgefeilter Kobayashi-Maru-Test ist?

Wenn ich mir die tagtäglich dümmlichen Entwicklungen so anschaue, wenn ich mir offen eingestehen muss, dass wir sehenden Auges den Planeten zu Grunde richten wegen Geld, mit wir meine ich z.B. die 8 Personen, denen 50 Prozent des Geldes gehören (oder die top 10% denen 85% des Geldes gehören), wir also eine wunderbar ausweglose Situation geschaffen haben, in der die Menschen mit dem Geld alle Macht haben und die ohne Geld die Macht nicht ohne weiteres auf absehbare Zeit bekommen werden… dann denke ich morgends im Spiegel manchmal nur: „Das ist doch hier alles nur ein Kobayashi-Maru-Test.“

Das Leben im sterbenden Spätkapitalismus der in Superzeitlupe ausgeführten Finanzsystemkatastrophe fühlt sich wie eine permanente No-Win-Situation an. Es ist egal welche Entscheidung man in seinem eigenen eng umgrenzten Entscheidungsbereich trifft, es ändert nichts am Ergebnis. Da kann man GRÜNE, AfD, FDP, SPD, CDU, CSU oder Die PARTEI wählen… es bleibt eine No-Win-Situation, denn es ändert an den wahren Machtverhältnissen (Geld regiert die Welt nicht Politik.) leider nullkommanichts. Erinnert mich iregdwie an den Film „WarGames“, Ein merkwürdiges Spiel, der einzig gewinnbringende Zug ist… nicht zu spielen.

Nun, ich denke ich habe meinen persönlichen Kobayashi-Maru-Test noch nicht bestanden, denn ich weiß zwar dass ich nicht gewinnen kann ich versuche es aber trotzdem. Dabei müsste ich es eigentlich nur anständig hinnehmen, dass der Planet sich zu einer unwirtlichen Wüste entwickeln wird, die Menschheit krass dezimiert werden wird durch Umweltwirkungen die wir selbst ausgelöst haben. Ich müsste lediglich hinnehmen, dass sich das nicht mehr wird ändern lassen. Stattdessen glaube ich noch an einen positiven Ausgang irgendwie… statt das Spiel einfach nicht mitzuspielen, lasse ich mich fahrlässig darauf ein, ein gefährliches Spiel zu spielen, das weltweite Kobayashi-Maru-Szenario.

Nun da ich den Test aktuell nicht zu bestehen scheine (Hacken, „Schummeln“, Out-of-the-Box Denken, vor allem aber Out-of-the-Box handeln, brauchen irgendwie deutlich mehr Zeit als gedacht…)… wie sieht es denn mit dem Rest des Planeten aus? Auf den ersten Blick würde ich sagen haben wir ca. 90 Prozent der Weltbevölkerung die das Szenario noch begeistert spielt und denkt sie könnten durch bekanntes Denken und Handeln oder gar abgucken bei anderen einen Einfluss auf das Ergebnis nehmen. Ha! Das muss man sich echt mal geben… was also braucht es um den Test zu bestehen?

Unrelated

…to be continued.

Why do I blog this? Keine Ahnung, war so eine Eingebung.

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept, nach dem jeder Bürger – unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage – eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche – vom Staat ausgezahlte – finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen (Transferleistung). Es wird in Finanztransfermodellen meist als Finanzleistung diskutiert, die ohne weitere Einkommen oder bedingte Sozialhilfe existenzsichernd wäre.

Quelle: Wikipedia Mai, 2015

peira_logoHier eine Aufzeichnung einer wahnsinnig guten Diskussion zu dem Thema veranstaltet von der Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.. Eine weitere Veranstaltung dazu ist hier zu finden. Eine ganze Veranstaltungsliste gibt es auch.


17. Mai 2015: Das BGE aus der Sicht von Kulturschaffenden

Hier eine Grafik, die hervorragend zeigt, was wir derzeit an gesellschaftlichem Schaden mit einem bedingten Grundeinkommen anrichten.

Faktisch schon da
Quelle: www.buergerinitiative-grundeinkommen.de

Interessante Personen

Interessante Fragen

  1. Brauchen wir eine Arbeitspflicht noch?
  2. Ist Grundeinkommen nicht eine singular-referenzielle Größe die außer Acht lässt, dass ein Geldwert (oft 1000€) überhaupt nichts mit der Kaufkraft zu tun hat?
  3. Brauchen wir nicht eine gesicherte Kaufkraft zwecks Selbstversorgung-durch-Kaufen, um einer Arbeit nachgehen zu können?
  4. An was würdest du arbeiten, wenn deine Kaufkraft zur Selbstversorgung gesichert wäre?
  5. …to be continued.

abbiegen-zum-bge_550

Meine Kritik

  • Wenn man über Geldbeträge spricht ist man auf dem Holzweg, denn ein Geldbetrag ist schnell geändert und kann prinzipiell das Einkommen auch auf Null setzen (reale Kaufkraft ist etwas anderes!)
  • Wichtig ist aus meiner Sicht das gesicherte wirtschaftliche Selbstversorgungspotenzial einer Person, also selber Lebensmittel, Dienstleistungen, Miete etc. bewältigen zu können.

Work-Life-Balance

Passend dazu ein Artikel mit Überschrift „Work-life balance: Aspirational parents condemn their children to a desperate, joyless life“ von George Monbiot.

hamsterrad

Finish your homework, pass your exams, spend your 20s avoiding daylight, and you too could live like the elite. But who in their right mind would want to?

Kindeswohl durch mehr Beschäftigung?!

Reiner Stadler in einem Beitrag vom 6.6.2015 „Vater, Mutter, Staat“ im MDR Kulturradio. (Depublizierungsschutz mp3)

Der Ausbau der Kita-Plätze soll jungen Familien helfen. Aber ist das wirklich so? Rainer Stadler, Journalist und Vater, wendet sich gegen den Trend zur Ganztagsbetreuung.

Die Grauen Herren von der Zeitsparkasse

zeitgenossen021-150x150Über Twitter hab ich einen neuen Podcast kennengelernt, die Zeitgenossen.

Die machen grade eine Podcast-Betrachtung in Folge 21 eines meiner Lieblingsbücher: Momo von Michael Ende.

Als ich den Podcast fand hab ich erstmal nach dem Buch gesucht. Ich suche immer nach dem Buch… auch kürzlich hab ich danach gesucht, in den Kisten auf dem Dachboden… im Bücherregal, in Kisten in der Abstellkammer. Ich hab es nicht gefunden. *seufz* Dabei weiß ich genau wie es aussieht, nämlich so:

Das Buch mit dem bezeichnenden Untertitel „Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte.“ ist aktueller denn je, denn es greift meiner Ansicht nach den Zustand unserer Gesellschaft so präzise auf wie kein zweites.

Das Auffinden des Podcast hängt mit dem zuvor weiter oben eingefügten Beitrag des MDR Kulturradio zusammen, in dem es um das Abgeben der Kinder in Einrichtungen zur „Betreuung“ geht um Zeit zu sparen und Zeit für die Berufstätigkeit zu schaffen.

Angeregt durch diesen Beitrag fielen mir wieder die Interviews mit Michael Ende ein die ich mal dokumentiert sah und hier mal im Vollzitat gegen Depublizierung sichere:

Michael Endes letzte Worte an die Japaner

Am 4. Mai 1999 wurde im japanischen Fernsehen NHK (Nihon
Hôsô Kyôkai
) der Dokumentarfilm »Ende no yuigon« – „Endes letzte Worte“ ausgestrahlt. Das Programm stiess bei den Zuschauern auf grosses Interesse und wurde seither bereits dreimal wiederholt. Der Film beginnt mit Ausschnitten aus einem Interview, das Michael Ende dem japanischen Fernsehen im Februar 1994 gegeben hatte. In seinen letzten Lebensjahren hatte sich Ende sehr intensiv
mit Fragen der Wirtschaft und des Geldsystems auseinandergesetzt. Sein Meisterwerk „Momo“ enthält zahlreiche Andeutungen zu diesen Themen. Dem Volkswirtschaftler Werner Onken fielen diese Anspielungen auf und er sprach ihn darauf an. Im seinem Antwortbrief bestätigte Ende diese Vermutungen:


„Übrigens
sind Sie bis jetzt der erste, der bemerkt hat, dass die Idee des alternden Geldes im Hintergrund meines Buches MOMO steht. Gerade mit diesen Gedanken von Steiner und Gesell habe ich mich in den letzten Jahren intensiver beschäftigt, da ich zu der Ansicht gelangt bin, dass unsere ganze Kulturfrage nicht gelöst werden kann, ohne dass zugleich oder vorher sogar die Geldfrage gelöst wird.“(1)


Dieses Thema beherrschte auch das Gespräch mit den Fernsehleuten aus Japan. Über zwei Stunden sprach er über die Dinge, die ihm so sehr am Herzen lagen und das japanische Fernsehteam hörte mit grossem Interesse zu. Das Gespräch lieferte die Anregung zu einer Fernsehreihe über das Thema unter der Mitarbeit von Michael Ende. Leider kam es dann nicht mehr dazu, da Michael Ende im August 1995 verstarb. Das Fernsehteam nahm die Anregung dennoch auf. In Endes hinterlassenen Büchern fanden sich viele Werke zum Thema Geld und Wirtschaft. Das Interview und die Bücher boten dann das Grundmaterial für die Fernsehdokumentation „Endes letzte Worte“.

Ende_no_yuigon

Michael Ende liebte Japan, seine Menschen, seine Kultur. Und die Japaner lieben ihn. In keinem anderen Land, ausserhalb Deutschlands, wurde sein Werk so umfassend aufgenommen und erreichte so hohe Auflagen.
Aus Gesprächen, die er mit japanischen Künstlern und
Wissenschaftlern geführt hatte, entstanden Bücher, die es auf Deutsch nicht gibt. Und so kommt es, dass seine Vorstellungen über Geldsystem und Wirtschaft und deren innerer Zusammenhang mit der Kultur in Japan besser bekannt sind als hierzulande. Auf den ersten Blick scheint es Gemeinsamkeiten zu geben zwischen Deutschland und Japan: beide verfügen über eine alte, gewachsene Kultur und beide
gehören sie zu den industriell fortgeschrittensten Ländern. Diese Voraussetzungen mögen Ende bewogen haben, seine Vorschläge an Japan zu richten. Die wirtschaftlich mächtigsten Länder hätten der Welt gegenüber eine Pflicht zu erfüllen, so meinte er, und daraus entstand die Idee, in Tokyo eine Konferenz einzuberufen, bei der Unternehmer und Wirtschaftler eine Organisation bilden, die das kapitalistische Wirtschaftssystem von Grund auf neu durchleuchtet. Der Beitrag der reichen Länder im internationalen Rahmen solle nicht darin bestehen, Geld an die armen Länder zu verteilen, sondern in der Verwirklichung kluger Unternehmen.

Wie kommt nun ein Autor wie Michael Ende, der für den Reichtum der Phantasie in seinen Geschichten geliebt und bewundert wird, dazu, sich auf das knallharte Parkett der Realität zu begeben? Vielleicht sind Vorstellung und Wirklichkeit gar keine so unversöhnlichen Gegensätze, wie uns unsere offizielle Kultur noch immer glauben machen will. Das Reich der Phantasie, das die innere, subjektive Befindlichkeit widerspiegelt und die Welt der objektiven Tatsachen, der äusseren Bedingungen, stehen in Wechselbeziehung zueinander. Äussere Gegebenheiten können die Phantasie anregen und aus der Vorstellungskraft wiederum können neue Tatsachen geschaffen werden. Während einer Konferenz von Wirtschaftlern und Managern in der Schweiz, zu der Ende eingeladen worden war, las er eine Passage aus einem seiner Bücher und er versuchte dann, das Vorstellungsvermögen
seiner Zuhörer zu aktivieren. Sie sollten sich vorstellen, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen solle; aber es kam nicht dazu. Die Zuhörer sahen nur die Bedingung der Realität, „Wir brauchen ein jährliches Wirtschaftswachstum von 3%, um überleben zu können“, und darin gab es keinen Freiraum mehr für Phantasie.(2)

Um uns Endes Vorstellungswelt zu nähern, ist es vielleicht hilfreich zu ergründen, wie er die Tatsachen der Wirklichkeit wahrgenommen hat. In einem älteren Interview für eine japanische Fernsehsendung meinte er:


„Wer zahlt, der befiehlt. Da unsere ganze Entwicklung auf technologischen und wissenschaftlichen Gebieten von Wirtschaftsinstituten und von staatlicher Seite für militärische Zwecke bezahlt werden, ist eine ganz bestimmte Art von Naturwissenschaft geschaffen und mit ungeheurer Geschwindigkeit vorangetrieben worden.“(3)


Die Ausgaben für militärische Rüstung ergaben sich aus dem Wettbewerb der beiden dominierenden Machtblöcke. Und an diesem Punkt erhebt sich die Frage, wieso der ‚real existierende Sozialismus‘, der ja eine menschlichere Alternative zum Kapitalismus darstellen wollte, so kläglich versagt hat. Nach Endes Ansicht ist die Marxsche Lehre jedoch keine Alternative zum Kapitalismus, Marx hatte den grundlegenden Fehler des Kapitalismus nicht erkannt und gelöst.


„Marx hat im Grunde geglaubt, das Problem des Kapitalismus dadurch zu lösen, dass anstelle der vielen Privatunternehmer nur ein einziger Unternehmer gesetzt wird, nämlich der Staat. Der Hauptfehler von Marx war, dass er den Kapitalismus eigentlich gar nicht ändern, sondern nur dem Staat übergeben wollte. In den beiden feindlichen Zwillingen der letzten 70 Jahre hatten wir einen Privatkapitalismus und einen Staatskapitalismus. Aber wir hatten keine nichtkapitalistische Wirtschaftsordnung. Marx‘ grosses Verdienst bleibt dennoch, dass er Begriffe geschaffen hat, die eine Kritik des Wirtschaftslebens überhaupt ermöglichen.“


Für Ende ist der Kapitalismus eine Auswirkung der fehlerhaften Struktur des Geldwesens selbst. Diesen grundlegenden Zusammenhang hatte Marx nicht erkannt, so dass es zwischen dem ‚real existierenden Sozialismus‘ und dem Kapitalismus westlicher Prägung gar keinen so
grundlegenden Unterschied gegeben hat, auch nicht in den
Auswirkungen:


„Die Opfer unseres Systems sind die Völker der Dritten Welt und die
Natur. Sie müssen die Rechnung bezahlen. Sie werden rücksichtslos ausgebeutet, damit das System weiterhin funktioniert. Um das Geld so profitbringend wie möglich zu investieren, so dass sich das Kapital vermehrt und wächst, müssen sie die Rechnung dafür
bezahlen, denn natürlich kommt dieses Wachstum nicht aus nichts.“

Auf seiner Suche nach einer Lösung, wie die »Tyrannei des Geldes« beendet werden könne, begegnete Ende vielen Fachleuten – Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern, Wirtschaftlern – und diskutierte mit ihnen. Eine der originellsten Persönlichkeiten unter diesen Experten ist der Schweizer Nationalökonom Hans Christoph Binswanger. Für Binswanger ist das grenzenlose Wirtschaftswachstum Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach Unendlichkeit. Doch diese Sehnsucht hat sich vollständig auf das Materielle verlagert, wo es nicht erfüllbar ist. Dahinter steckt, so vermutet er, das Bestreben der mittelalterlichen Alchemie, Blei in Gold zu verwandeln. Das Faust-Drama Goethes ist nach Binswangers Verständnis eine detaillierte Kritik an den unterschwellig wirkenden, alchemistischen Vorstellungen und eine eindringliche Warnung an die Hybris der modernen Wirtschaft.(4)


„Bei meiner Interpretation ist die Erkenntnis neu, dass Goethe im Faust
die moderne Wirtschaft als einen alchemistischen Prozess beschreibt und vor den Folgen solchen Tuns eindringlich warnt: vor allem dort, wo von der Schaffung von Gold, von Geld, von den Geldschöpfungsexperimenten die Rede ist… Hier liegt ein wesentlicher Teil von Goethes Faust-Botschaft. Alchemie ist kein mittelalterlicher Aberglaube, sie wird konsequenter denn je praktiziert, sie experimentiert heute mit dem Globus insgesamt, und
dieses alchemistische Grossexperiment heisst »moderne Wirtschaft«…
Was passiert denn in der Wirtschaft heute? Ständig »wächst« etwas »zu«. Merkwürdig nur, dass nirgendwo irgendetwas weniger werden soll. Genau das ist Alchemie, die Fortsetzung des Schöpfungsprozesses quasi aus dem Nichts.“(5)

Binswanger sagt, dass die Wirtschaft zu etwas Sakralem, das Geld zu etwas Transzendentem geworden sei, es verdirbt nicht, es kann nicht verbraucht werden, denn es läuft ja nur um. Es verfault nicht, es rostet nicht – es ist dem Gold gleich. „So ist das, was wir beim
Geld empfinden, unbewusst zu einer Metapher geworden für
Unsterblichkeit.“ Aber die groteske Selbstvermehrung des Geldes, das Sakrale darin, ist für Ende eine Form von Schwarzer Magie.


„In
den alten Kulturstätten der Welt stand im Mittelpunkt der Tempel, die Kirche oder der Dom. Von dort ging die Ordnung des Lebens aus. Heute steht im Mittelpunkt jeder Grossstadt das Bankgebäude. In meinem »Rattenfänger« habe ich versucht, dies als eine Art
Dämonenkult zu schildern, wo das Geld wie etwas Heiliges angebetet wird. Dort wird sogar expressis verbis gesagt, es sei Gott!
Es tut Wunder, denn die Vermehrung des Geldes selbst ist ja ein Wunder. Es ist ja eine wunderbare Geldvermehrung, um die sich’s da handelt.
Es hat den Charakter des Unvergänglichen. Wenn jedoch etwas eine rein menschliche Schöpfung ist, dann ist es das Geld.“


Schwarze Magie hat es an sich, dass sie selbstzerstörerisch ist, dass sie sich letztendlich selbst verzehrt. Im »Rattenfänger von Hameln«,
der alten Legende, die Ende als Grundlage für eine Oper benutzt hat, erscheint der Rattenfänger als Retter, der die Kinder aus einer kranken, elenden Gegend, in der die Pest wütet, in ein neues, gesundes Reich führt. Dies ist möglich in der Welt der Phantasie, wie aber soll eine Lösung in der Realität aussehen. Nun, wenn das
Problem dadurch entsteht, dass das Geld zu einem Symbol für
Unendlichkeit und Unsterblichkeit geworden ist, obwohl es mitten in der endlichen und vergänglichen Welt benutzt wird, scheint die Lösung offensichtlich. Auf dem Höhepunkt des Gesprächs mit dem japanischen Fernsehteam fällt nun der Name Silvio Gesell.


„Ich weiss nur, dass es mit Silvio Gesell angefangen hat, der einer der ersten war, die sich den Kopf darüber zerbrochen haben. Das war ein
Mann der Räterepublik in Bayern kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Er sagte zum Beispiel: »Geld muss altern können«. Er sagte, es muss so eingerichtet werden, dass das Geld am Ende des Wirtschaftsprozesses wieder verschwindet.“


Er bringt dann zur Veranschaulichung den Vergleich mit dem Blut, das an einer Stelle – im Knochenmark – erzeugt wird, dann im Körper zirkuliert, alle Organe mit Nährstoffen versorgt und zum Schluss altert und ausgeschieden wird.

Silvio Gesell wurde in einem kleinen Ort nahe der belgischen Grenze geboren, wanderte als junger Mann nach Argentinien aus und gründete dort als Kaufmann ein erfolgreiches Geschäftsunternehmen. Er studierte die
wechselnden Phasen in der Konjunktur der Wirtschaft und fand die Ursachen für krisenhafte Entwicklungen im Geldsystem. Seine Einsichten bildeten die Grundlage für seine Theorie. Als er nach Europa zurückkehrte, verfasste er sein umfangreiches Hauptwerk »Die Natürliche Wirtschaftsordnung« und versuchte auch hier seine Erkenntnisse weiterzugeben. Aber auch nach der zweiten, noch schlimmeren Katastrophe wurde nicht an der bestehenden Geldordnung gerührt. Und da auch heute wieder die wirtschaftliche Situation bedrohliche Ausmasse annimmt, scheinen nach Endes Meinung Massnahmen
dringend geboten.


„Wenn nicht die Vernunft den Menschen dazu bewegt, etwas zu ändern, dann
werden es die Ereignisse sein.
Aber ich glaube, dass es eine Maulschelle sein wird, die die Menschheit bekommt und die ihr noch viele Jahrhunderte in den Ohren klingen wird…“

Maulschellen hat die Menschheit im 20. Jahrhundert ja schon einige kräftige erhalten. Und vor jeder Katastrophe, die sich ereignete, gab es Stimmen der Vernunft, die vor der Katastrophe warnten. Gesells Leserbrief an eine Berliner Zeitung stammt aus dem Jahre 1918:


„Trotz der heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu
ächten, trotz der Rufe der Millionen: »Nie wieder Krieg«, entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muß ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem, die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten, daß es keine 25 Jahre dauern wird,
bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen.“


In weiteren knappen Sätzen beschrieb er, was sich bis zu dieser Katastrophe ereignen würde und es traf ein. Gesell war jedoch kein Hellseher. Seine Voraussage war nur eine präzise Darstellung der Konsequenzen, die sich aus der inneren Gesetzmässigkeit des Geldsystems zwangsläufig ergeben mussten. In Phasen sich steigernder Aufregung werden jedoch Stimmen der Vernunft und Besonnenheit immer überhört.


Die Domäne des Schriftstellers Michael Ende ist das Reich der Phantasie, der subjektiven Vorstellungskraft, und diese scheint nichts mit der Realität zu tun zu haben. Aber die sogenannten Realisten, die nur die Notwendigkeit für „3% Wirtschaftswachstum“ sehen,
stehen möglicherweise unter dem Zwang einer inneren Vorstellung von der Wirklichkeit, dessen sie sich nicht bewusst sind. Michael Ende versuchte, die Aufmerksamkeit der Menschen auf diese innere Welt der geistigen Vorstellung zu lenken. Es könnte zu der Einsicht führen, dass der Zwang zu „3% Wirtschaftswachstum“ auch nur eine
Ausgeburt der Phantasie, aber einer unbewussten ist.


„Ich betrachte meine Möglichkeiten als Schriftsteller, die ja sehr gering
sind, nur unter diesem Gesichtspunkt. Ich versuche Gedanken zu denken, Vorstellungen zu entwickeln, die möglicherweise denen helfen können, die die Ereignisse überstehen und nicht den gleichen Fehler
wieder machen. Es wird sich dann eine Gesellschaft von ganz anderer Art bilden.“


Michael Ende überschätzt keineswegs seine Möglichkeiten der Einflussnahme in einer Kultur, in der Phantasie und Realität, Subjekt und Objekt als voneinander getrennte Bereiche betrachtet werden, die scheinbar ohne gegenseitige Beziehung nebeneinander existieren. Aber auch diese Vorstellung ist keineswegs universal und überall gültig.

Atsunori Kawamura, der Leiter der Dokumentarfilmabteilung „Group Gendai“
von NHK berichtet (6), dass Ende sich trotz seiner Sympathie und Wertschätzung für Japan und seiner Kultur weit von der heutigen Lebenswirklichkeit der Japaner entfernt fühlte. Im Japan der Gegenwart wird die Wirtschaft und sogar die Kultur von der Macht der Bürokratie beherrscht. Was als Neuaufbau der Wirtschaft bezeichnet wird, besteht lediglich in der Investition ungeheurer Summen aus Steuergeldern in die Kapitalorganisation privater Unternehmen. Auch das kulturelle und geistige Schaffen hängt von Subventionen und Autoritäten ab, die so die Richtung der Entwicklung beeinflussen. Die demokratisch gewählten Politiker sind meist damit beschäftigt, sich in der öffentlichkeit zu profilieren, um bei der nächsten Wahl wieder gewählt zu werden. Die Bürokraten, die sich nicht um die Wählergunst bemühen müssen, können sich ohne Ablenkung auf Sachfragen konzentrieren. Diese Bürokratie ist sehr effizient, sie trifft ihre Entscheidungen nicht einseitig, sondern in reger Zusammenarbeit mit betroffenen Institutionen. Auf diese Weise entstand ein paternalistisches System, das auf Konsens und Harmonie beruht, aber die Bürger auf subtile Weise entmündigt. Endes Vorstellungen orientieren sich weitgehend an den Theorien Rudolf Steiners von der Dreigestalt der Gesellschaft. Die Grundlage der Demokratie ist die Gleichberechtigung der Bürger und somit auch die Grundlage für Mehrheitsentscheidungen in öffentlichen Angelegenheiten. Im geistigen und kulturellen Leben jedoch gelten andere Theorien, in diesem Bereich zählt die Freiheit am höchsten. Was Kunst ist, kann nicht durch Mehrheitsbeschluss oder gar per Dekret bestimmt werden. Der wirtschaftliche Bereich sollte vor allem dem Ideal der Brüderlichkeit entsprechen. Diese Einteilung der Gesellschaft folgt den Schlagworten der Französischen Revolution: Freiheit im geistigen, kulturellen Bereich, Gleichheit in der Ausgestaltung der Bürgerrechte und Brüderlichkeit bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen.

Es war nicht Japans Fassade, die solche Anziehungskraft auf Michael Ende hatte, es waren wohl subtilere Aspekte der Kultur dieses Landes, die tiefere Schichten bei ihm angesprochen haben. Japan ist in vieler
Hinsicht ein ungewöhnliches Land. Einerseits ist es durch und durch asiatisch, ganz in den Traditionen asiatischer Geistigkeit und Kultur stehend, andererseits hat es sich daraus hervorgehoben und konnte sich nicht nur in der von Wissenschaften dominierten, abendländischen
Zivilisation behaupten, sondern sogar einen der höchsten Plätze erobern. Doch die Kultur eines jeden Landes ist wie durch eine Nabelschnur mit seiner Vergangenheit verbunden und auch wenn die äussere Fassade dies nicht mehr erkennen lässt, sind solche
Einflüsse unterschwellig wirksam. Über 200 Jahre lang war Japan isoliert (1639-1868). Es gab so gut wie keinen Austausch mit dem Rest der Welt. Von den wissenschaftlich-technologischen Fortschritten, die den westlichen Ländern die Industrielle Revolution bescherten und
sie unaufhaltsam weitertrieben, blieb Japan völlig unbehelligt. In den 200 Jahren der Isolation gab es so gut wie keinen technologischen Fortschritt. Als sich Japan 1868 wieder der übrigen Welt öffnete, war es ein reines Agrarland. 80% der Bevölkerung waren Bauern, der Rest verteilte sich auf die übrigen Stände: Samurai, Handwerker, Kaufleute. Aber auch wenn nach westlichen Massstäben, Japan ein rückschrittliches Land gewesen sein mag, trifft dies eben nur im Bereich technologischer Entwicklung zu. Die Japaner sind ein ungemein wissbegieriges, lernfreudiges Volk. Sie nutzten die Zeit des
technologischen Stillstands für Bildung und kulturelle Verfeinerung. Es entstanden private Schulen, terakoya genannt, die eifrig besucht wurden und für eine hohe Ausbildung breiter Schichten sorgten. Zum Ende der Edo-Zeit 1868 hatten etwa 40% der männlichen und 20% der weiblichen Bevölkerung eine terakoya
besucht und konnten Lesen und Schreiben. Im Vergleich dazu hatten zu dieser Zeit in England, dem damals industriell fortgeschrittensten Land, nur etwa 20% der Männer und keine Frauen eine Schulbildung genossen. Ein überdurchschnittliches Bildungsniveau ist auch heute noch Standard in Japan.

Ganz sicher aber sind unterschiedliche historische Entwicklungen und geistige Wurzeln verantwortlich für die Setzung anderer Akzente im Umgang mit den Dingen der Wirklichkeit. Der amerikanische Japanologe Boye Lafayette De Mente, der viele Jahrzehnte in Japan gelebt hatte, meinte:


„Für einen logisch denkenden Menschen des Westens gibt es wahrscheinlich
nichts Irritierenderes als mit Menschen – umso mehr mit einem ganzen Volk – zu tun zu haben, die sich nicht in einer »vernünftigen« Weise verhalten. Für westliche Menschen sind Leute, die ihren Gefühlen erlauben, einen wesentlichen Teil ihres Verhaltens zu bestimmen, suspekt und sie vertrauen ihnen nichts Wichtiges an. Wenn Emotionalität ein ziemlich niedriges Niveau übersteigt, betrachten wir es im Westen bereits als krank. […]
Vielleicht war es eine Kombination von Shintoismus und Zen-Buddhismus, die die
Japaner befähigte, sowohl im Bereich der Gefühle als des Verstandes zuhause zu sein, wobei das Gefühl nicht selten den Verstand überrollt. Mit dem Zen-Faktor im japanischen Denken haben sie einen beträchtlichen Vorteil in der Fähigkeit, zwischen Wirklichkeit und
dem Unwirklichen oder der Phantasie zu unterscheiden. Das Zen-Auge blickt durch die Fassade direkt ins Herz der Dinge.“(7)


Hier mag der Schlüssel liegen für die gegenseitige Anziehungskraft zwischen Michael Ende und den Japanern. Phantasie, das freie Fliessen der Assoziationen ist eine Methode, sich von eintrainierten Denkmustern, von Vorurteilen zu lösen, neue Denkmöglichkeiten zu
ergründen. Eintrainierte Denkmuster geben Sicherheit aber sie können auch eine Fessel sein, die Dinge so zu sehen, wie sie sein sollen und nicht, wie sie wirklich sind. Phantasie löst die festgefahrenen Denk- und Wahrnehmungsmuster auf, aber dies stellt auch eine Bedrohung der Sicherheit dar. Vor dem Hintergrund irrealer Phantasie
kann sich die Realität klarer abheben und gibt neue Sicherheit. Plötzlich werden Feinheiten der Realität wahrnehmbar, die mit den Augen einer voreingestellten Wahrnehmung nicht gesehen werden konnten. Wissenschaft ist die Neugier für das, was »die Welt im
Innersten zusammenhält«, die Erkenntnis von der Beschaffenheit der äusseren Welt, die nicht Ich ist. Kunst ist die Sehnsucht nach Einheit mit der Welt, die Trennung von Ich und Nicht-Ich aufzuheben. Der Wissenschaftler, dessen Blick auf die äussere Wirklichkeit gerichtet ist, kämpft mit den Tücken seiner subjektiven Befindlichkeit, seinen Stimmungen und Launen, die die klare Wahrnehmung zu stören scheinen. Der Künstler kämpft mit den Tücken des äusseren Objekts, die dem Ausdruck seiner inneren Phantasie zu
widerstehen scheint. Beide, Wissenschaftler und Künstler, wenn sie sich redlich um Verfeinerung ihrer Methoden bemühen, werden sich schliesslich begegnen.

Beide Bereiche, Wissenschaft und Kunst, sind die beiden Seiten des Ganzen. Es ist wohl kein Geheimnis mehr, dass der wissenschaftliche Weg, überwiegend der Weg des Westens war und der künstlerische Weg, der des Ostens. Japan, eine Kultur des Ostens und von daher eher der Kunst zugeneigt, hat sich sehr erfolgreich mit den Errungenschaften des Westens auseinandergesetzt und gleichzeitig gezeigt, wie wertvoll dabei die Errungenschaften des Ostens sind. In einer Welt, die durch
Kommunikationstechnologien immer kleiner wird und die Menschen sich immer näher kommen, muss ein Weg gefunden werden, wie die beiden Bereiche von Kunst und Wissenschaft gleichberechtigt zusammengeführt werden können. Dies ist die Kulturfrage, von der Ende zu Anfang sprach, und die seiner Ansicht nach nicht gelöst werden kann, wenn
nicht gleichzeitig oder besser schon vorher die Geldfrage gelöst wird.


Anmerkungen:
Soweit nicht anders vermerkt, sind alle Zitate von Michael Ende Transkripte von dem japanischen Video „Ende no yuigon“, die für die schriftliche Wiedergabe leicht redigiert wurden.

  1. Aus einem persönlichen Brief von Michael Ende an Werner Onken
  2. Anekdote aus „Phantasie, Kultur, Politik“, 1982; s.a. Yasuyuki Hirota, „Michael Endes Sicht der ökonomie“
  3. Aus demNHK-Programm „Einstein Roman 6: Ende’s Civilization Desert“, 1991
  4. Hans Christoph Binswanger, „Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft.“ Edition Weitbrecht, Stuttgart 1985
  5. Aus einem Interview mit der Zeitschrift esotera, 12/1988
  6. In einem Beitrag von Atsunori Kawamura aus dem Buch „Ende no yuigon“, NHK-Shuppansha, Tokyo 2000
  7. Boye Lafayette De Mente, „NTC’s Dictionary of Japan’s Cultural Code Words“, National Textbook Company, Lincolnwood, Ill., USA, 1994

Mein besonderer Dank gilt Frau Junko Murayama (NHK) und Herrn Eiichi Morino (Gesell Research Society Japan), ohne deren freundliche Unterstützung dieser Aufsatz nicht möglich gewesen wäre.

Quelle: Robert Mittelstaedt, Webseite http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/mittelstaedt/japan-money/Ende_kinenshu.html (als englisches PDF)

Sehr empfehlenswert die Dokumentation zu 40 Jahre Momo von Oliver Sachs, Hanni Welter und Masayo Oda.


Quelle: youtube, SAT 1, (Depublizierungsschutzmp4)

Ebenfalls sehenswert, ein Interview: „Michael Ende 1990 Bei Fuchsberger ganzes Interview“.

Arbeit und Muße. Ein Plädoyer für den Abschied vom Arbeitskult

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Arlt, Publizist und Kommunikationswissenschaftler, Universität der Künste und Prof. Dr. Rainer Zech, Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer der ArtSet Forschung Bildung Beratung GmbH, fand am 20. März 2016, im Cum Laude das Restaurant, Humboldt-Universität zu Berlin statt im Rahmen der PEIRA Reihe.

Erschienen ist zu dem Thema auch eine Veröffentlichung der beiden Professoren mit gleichnamigem Titel:

arbeit_musse

Titel im Springer Verlag

„Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen.“ so Oscar Wilde in seinem leider viel zu unbekannten Essay „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ aus dem Jahr 1891. Doch von diesem Ziel haben sich diejenigen, die immer vorgaben, die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu vertreten, kaum leiten lassen. Selbst jetzt in Zeiten von Industrie 4.0, der beginnenden Epoche der abnehmenden Arbeit durch die digitale Transformationen in allen gesellschaftlichen Bereichen, erheben Gewerkschafter und Sozialdemokraten weiterhin die Forderung auf ein Recht auf Arbeit. Dies ist kein Fortschritt und nicht menschenwürdig: Es ist daher an der Zeit ein „Recht auf Arbeitslosigkeit“ nicht nur zu denken, sondern auch gesellschaftlich durchzusetzen.

Wer nicht den ganzen Beitrag sehen möchte (der aber extrem sehenswert ist) der kann die Mitschrift von der Matinée erstellt von Prof. Martin Haase lesen (auf der Seite ganz unten in Links & Stichworten).

Why do I blog this? This will be remembered as one of the many sparks to kick off a different future.