Deutschlands Innovationsbremse heißt „Bildung“ und…

…“rationale, autoritätskonforme Bürger“ (neben „Wettbewerb“ und „Finanzierung“), zumindest wenn man der neusten Studie des DIW Glauben schenkt.. Wie in einer Pressemitteilung des DIW Berlin (siehe auch heise.de) zu lesen ist, zeigt der in einer neuen Studie erstellte Innovationsindikator für Deutschland ein sehr differenziertes Bild. Das DIW fasst die Ergebnisse zusammen mit der Schlagzeile: „Innovationsfähigkeit: Deutschland braucht mehr Schwung“. Was genau hat das DIW untersuchen lassen? Am besten man liest es selbst nach indem man das PDF-Dokument der 286 Seiten starken Studie herunterlädt.

Ein Ergebnis ist mir besonders ins Auge gefallen: „Deutschlands gravierendste Schwäche bleibt das Bildungssystem. Es ist in fast allen Belangen des in diesem Jahr verbreiterten Messkonzepts (Finanzierung, Anzahl der Absolventen mit tertiärer Bildung, Qualität etc.) im internationalen Vergleich hochentwickelter Länder unterdurchschnittlich.“ (Quelle: Ebendiese Studie Seite 4 des Executive Summery (S. 22 im PDF); siehe auch Grafik oben rechts)

Eine besonders delikate Erkenntnis lautet dabei wie folgt: „Gravierende Nachteile hat Deutschland auch bei den innovationsrelevanten Verhaltensweisen und Einstellungen der Bevölkerung. Die Bürger haben im internationalen Vergleich eine geringe Bereitschaft zur Übernahme von unternehmerischem Risiko und die Gründungsaktivitäten sind besonders schwach. Es gibt relativ starke Vorbehalte gegenüber der Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Teilnahme von Frauen an Forschung und Innovation ist gering.“

Einerseits finde ich diese Feststellung wenig überraschend, andererseits umso gravierender. Denn, gerade der Bildungssektor im Bereich der Schulen ist durch viele Frauen im Lehrerberuf geprägt. Wenn diese aber gerade nicht an Forschung und vor allem an Innovation, i.e. Bildungsinnovation teilnehmen, dann kann sich in diesem Sektor auch nichts wesentlich nach vorne bewegen. Ebenso schließt der Begriff Bevölkerung durchaus auch die Studierenden der Unis mit ein. Auch deren „innovationsrelevante Verhaltensweisen und Einstellungen“ sind gemeint. Auf der Seite 120 der Studie wird Deutschlands Position mit dem Modell der Wertegemeinschaften nach Ronald Inglehart versucht zu ermitteln. Sehr deutlich ist zu erkennen, das Deutschland stark rational und nicht an traditionellen Werten ausgerichtet ist, was aber viel gravierender erscheint, ist die Tatsache, dass wir offenbar eher zu Werten der autoritätsbezogenen Konformität neigen, statt zu einer offenen und toleranten Gesellschaft. Japan und Korea sind ebenfalls Vertreter in diesem linken oberen Quadranten der Grafik. (siehe auch Grafik rechts; Seite 120 (S. 138 im PDF))

Interessant ist dann aber die Begründung des DIW für den Umstand, warum wir in der Bildung derart weit zurückliegen: „Bei der Finanzierung des Bildungssystems durch die öffentliche Hand und Private liegt Deutschland auf dem 12. Platz. Deutschland investiert nur 5,3 % seines Bruttoinlandsprodukts in die Bildung, der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei 5,9 % (OECD 2006).“ Gut da sagt man sich jetzt, was sind schon läppische 0,6 Prozent.

Nun von einem BIP das eine Höhe von ca. 2244 Mrd Euro für das Jahr 2005, sind das umgerechnet dann doch 13,46 Mrd. Euro. Nur zum Vergleich: Die Exzellenzinitiative vergibt in Ihrer gesamten Höhe gerade einmal 1,9 Mrd Euro. Das sind 14 Prozent dessen, was wir eigentlich investieren müßten, um auf den OECD-Durchschnitt zu gelangen. Dabei sollte man im Kopf behalten, das die Ausgaben für Bildung auch Ausgaben der Bürger für Bildung sein können, also z.B. die selbst bezahlte Softwareschulung und nicht nur die Investitionen des Staates, die durch zuvor erhobene Steuern und Schulden bezahlt werden.

Update 11.12.2006
Ich weiss dieser Post ist schon lang, da kommt es auf ’ne Zeile mehr nicht mehr an. Denn was der Nachrichtendienst Reuters USA über den Ticker schickt passt gerade super dazu: Study finds U.S. bias against women in science

Why do I blog this? Geld ist sicher ein wichtiger Faktor in dem ganzen Komplex. Ich frage mich aber, ob man nicht mit Aufklärung über den Zusammenhang von Zukunftsfähigkeit und der Bereitschaft sich Neuem gegenüber zu öffenen und nicht gleich alles zu verurteilen, ebensoviel erreichen könnte, wie mit einer weiteren Mrd. Euro die man in das System wirft. Meine Erfahrung zeigt mir, das vor allem Studenten der Bildungs- und Geisteswissenschaften teilweise derart innovationsfeindlich eingestellt sind, dass man als Dozent eigentlich erstmal die innovationsrelevanten Verhaltensweisen und Einstellungen bearbeiten muss, damit man irgendwie weiterkommt.

Hier besteht aus meiner Sicht wahrhaftig Handlungsbedarf! Wie kann man als angehender Lehrer z.B. bereits alles Neue völlig unreflektiert ablehnen? Offenbar ist auch die Bereitschaft sich selbständig Neues zu erschließen z.B. im Bereich „Lernen mit technischen Medien“ wie dem Internet eher gering ausgeprägt. In Zeiten jedoch, in denen das Internet zu einem der am schnellsten wachsenden Informationszugänge gehört, ist es aus meiner Sicht fatal, wenn man als angehender Lehrer diesen ganzen Bereich einfach ausblendet in der Hoffnung es wird schon irgendwie gehen. Grundbildung im Umgang mit IT wird als notwendiges Übel des Studiums angesehen und nicht etwa als Chance für Veränderung und Innovation. Das man sich über das Internet sogar weiterbilden kann, wird schon gar nicht in Betracht gezogen.

In meinem Studium war ich als einer der Ersten mit Online-Learning konfrontiert, weil mein Professor erstmals seine Lehrmaterialien mit gesprochenem Text zusammen im Internet aufbereitet hatte (u.a. grafische Animationen und gesprochene Erklärungen dazu). Es wurde an der Uni Innovation betrieben, für neue Wege der Lehrmaterialbereitstellung. Wir haben als Lerngruppe neue Wege der Aneignung beschritten und das Online-Angebot angenommen. Auch Lösungen haben wir online (per E-Mail) abgegeben und digital korrigiert (PDF mit Kommentaren) zurückbekommen. Wir wußten, dass daran kein Weg vorbei führt und es auch Vorteile hat Lehrprozesse online durchzuführen, z.B. wegen der Aktualität und eine zeitlichen Entkopplung von Dozentensprechstunden. Statt eines gedruckten und zu kaufenden Scripts, sind wir eben ins Netz gegangen. Das wir für die Klausurvorbereitung dann Webseiten zusammengefasst haben (als Word-Dokumente) statt eines Scripts, war nur konsequent. Wir haben unsere Arbeitsschritte eben auch möglichst digital durchgeführt. Statt eine Grafik auszuschneiden ein Bildschirmfoto gemacht, usw.

Mangelnde Veränderungsbereitschaft bringt einen da nicht weiter und betrifft meist meist nicht nur die eingesetzte Informationstechnologie (IT), sondern auch neue Methoden der Veranstaltungsgestaltung, die von eigenen Erfahrungen abweichen. Innovationsfeindlichkeit und Protektionismus gegenüber allem Neuen, was sich von der eigenen Erfahrung abhebt, das sind aus meiner Sicht die wahren Bremsen in Deutschland, denn wenn der Kopf nicht will, dann hilft auch die vor die Nase gehaltene Belohnung (Geld) nicht viel weiter.

In der Pressemitteilung ist zu lesen: „Das Potential, das qualifizierte Frauen für die Innovationsfähigkeit eines Landes bieten, wird in Deutschland zu wenig ausgeschöpft.“ Aus meiner Sicht sollte man zunächst erstmal die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen als Innovatorinnen anheben und zugleich die Veränderungsfreudigkeit der Bevölkerung aktivieren. Das widerum bedeutet Aufklärung tut not. Aus meiner Sicht wird das politische Mittel der Aufklärung aber dramatisch unterschätzt und wenig genutzt. Bürger die bislang stark auf Autoritätskonformität und Rationalismus gesetzt haben, dürften eine ideale Zielgruppe sein, für Aufklärungskampagnen, die neue postmoderne Werte betonen. Für einen solchen Übergang wäre es sicher kein Schaden, auch ein wenig Halt in der Tradition zu suchen, die wir bislangs als rational Orientierte ausser Acht ließen.

2 Gedanken zu „Deutschlands Innovationsbremse heißt „Bildung“ und…“

  1. Ich finde es toll daß jemand endlich Stellung zu unserem ‚Bildungssystem‘ nimmt.

    Derzeit versuche ich mich im grafischen Bereich und im Bereich IT/Linux autodidaktisch durchzuschlagen, und fühle mich oft überrollt von vielen Menschen die versuchen mir die Ausweglosigkeit meines Vorhabens einzureden.

    Was viele als Bildungssystem bezeichnen, sehe ich doch eher als eine Religion mit vielen Anhängern. Wer wagt, an der Autorität des Gottes ‚Bildung‘ zu zweifeln?

    Ich behaupte einmal ganz frech und würzig: unser Bildungssystem ist eine Religion mit Anhängern.

    Die Kirchen zu denen man hingehen muss um die Gunst des Bildungsgottes zu erlangen sind anerkannte Bildungseinrichtungen. Bei geleisteter Mühe vergeben sie einem eifrigen Gläubigen ihren Segen, der ihn zu Glück und Erfolg führen soll.

    Sich nicht zu bilden heißt zu sündigen, und ist natürlich gefährlich: man kann in die Hölle kommen. Ewig pleite sein, vom Arbeitsamt abhängen und von Job zu Job geschupst zu werden ohne Aussicht ernsthaft Fuß zu fassen. Bis hin zur Obdachlosigkeit.

    Kein Abschluss, keine Chance. Das ist die Devise derjenigen, die den Missionaren einer Religion ähneln, und welche die edele Aufgabe übernommen haben, fehlgeleitete Menschen vor der ‚Hölle‘ zu ‚retten‘.
    Fehlgeleitet heißt hier: kein Abschluß anstrebend oder besitzend.

    Das Problem unseres Bildungssystems liegt aus meiner persönlichen sicht weniger am Geld, sondern eher einer Glaubensfrage.

    Wozu soll sich jemand für eine Bildungseinrichtung entscheiden von dessen Qualität er nicht überzeugt ist?
    1. Weil eine Bildungseinrichtung in der Regel Abschlüsse (Zertifikate, Diplome, etc.) vergibt.
    2. Weil jener der sich für eine Bildungseinrichtung entscheidet Angst hat, wegen fehlender ‚Qualifikation‘ sozial abzurutschen und in die ‚Hölle‘ zu kommen.

    ___ ___ ___
    Mein kleines Fazit:

    Würden wir unabhängiger sein im Denken von Bildungseinrichtungen, und würde ein Abschluss nicht mehr maßgeblich bei der Wahl einer Bildungseinrichtung sein …

    … wäre die Qualität einer Bildungseinrichtung entscheidend für ihre Existenz.
    Wäre dies der Fall, wozu sollte sich jemand einer Bildungseinrichtung anvertrauen, wenn jener sich in dem Wunsch etwas zu lernen nicht befriedigt fühlt?

    Gruß,
    Leonard

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.