Vergangenheit und Zukunft von E-Learning

humboldt_elearnerAngeregt durch viele Blogposts in der letzten Zeit möchte ich einen kleinen Beitrag leisten zu der Bestandsaufnahme des State-of-E-Learning. Denn schließlich wird in den genannten Beiträgen nicht weniger als die Abschaffung des E-Learning gefordert, wenn z.B. Forscher der Uni Basel fordern: „Mit diesem Beitrag möchten wir dafür plädieren, e-learning abzuschaffen.“

Folgende Blogposts und Beiträge haben mich dazu angeregt (Anmk.: Liste updated am 4.10.2008 & am 14.10.2009):

Diese Beiträge greifen den Stand der Dinge und Überlegungen zur Zukunft des E-Learning auf. Während die einen für die Abschaffung des Begriffs plädieren, ohne einen griffigen neuen Begriff parat zu haben, sprechen andere über die Morgendämmerung der schöpferischen Zerstörung.

Seit es erste WBT’s gab, hat sich eigentlich nichts Wesentliches getan, sagt Andrea Back. Lerninhalte werden auch wegen Copyrightfragen immer noch nicht wiederverwendet. Eine nächste Evolutionsstufe lauert ihrer Ansicht nach jedoch bereits vor der Türe und spricht von der „DNA des Web“, die sich für einen neuen Innovationsschritt gerade rekombiniert. Sie plädiert für „Weitermachen mit E-Learning“ und hält eine virale Verbreitung für nicht nur möglich sondern auch wahrscheinlich!

Digitale Medien […] werden zur „Normalität“ in unserer Gesellschaft sagt Gabi Reinmann. Was die E-Learning-Community auszeichnet, ist Interdisziplinarität sagt sie und eindeutig ist, dass aus der E-Learning-Community nach wie vor kreative und zukunftsweisende didaktische Neuerungen entstehen. Eine Alternative zum „Scheiden“ wäre eine weiter beharrliche Überzeugungsarbeit, dass auch die Bildung in einer veränderten Gesellschaft nicht bleiben kann, wie sie war und ist […].

Zwei Professorinnen die keinen Untergang kommen sehen, aber eine Weiterentwicklung und auf ihre eigene Arrt zu einer optimistischen Sicht der Dinge aufrufen.

campfire_inflation
Sinnbild der Campfire Inflation: Demnächst werden die Lagerfeuer in den Hosentaschen auf dem Touchscreen brennen.

Was habe ich hinzuzufügen?
Ich habe E-Learning intensiv im Sinne der LCMS gelebt. Ich habe zugleich die von Andrea Back bezeichnete „disruptive Innovation“ am eigenen Leib abbekommen. LCMS wurden plötzlich unsexy und farblos eine echte Alternative kam aber bislang nicht auf. Solange die großen Social Networks (facebook, studivz und myspace) noch nicht existierten, waren die LCMS auch eine Art sozialer Treffpunkt, das 24h-nonstop brennende Lagerfeuer in der sozialen Wüste des Internet, um das man sich versammeln konnte.

Die Anzahl der Lagerfeuer ist nun bedeutend größer geworden. Soziale Treffpunkte gibt es jetzt bei facebook, bei studivz und bei myspace (und sehr viele weitere). Was also hat E-Learning den gefühlten Abschwung bzw. die disruptive Störung beschert?

Aus meiner Sicht wird sowohl in der Präsenzlehre, also Lehren und Lernen an echten Orten Face-2-Face als auch im E-learning bzw. der Distanzlehre, dem Lehren und Lernen unterstützt durch das Web ein Faktor massiv unterschätzt:
Lehren und Lernen findet nur erfolgreich in einem sozial ansprechenden Ort statt. Schulgebäude sind teilweise so hässlich und kalt, dass niemand freiwillig länger bleibt als nötig. Ähnlich schaut es aus mit E-Learning-„Gebäuden“ wie z.B. moodle oder stud.ip oder Ilias oder Clix oder was auch immer. Langweilig, unsozial, farblos und wenig ansprechend über das funktionale hinaus.

Und genau hier hat E-Learning massiv an Boden verloren. Anfang 2000 gab es noch nicht soviele andere „Gebäude“ im Netz, die man als soziale Orte aufsuchen konnte. Doch das hat sich dramatisch gewandelt und die langweiligen E-Learning-Orte aus dem 20sten Jahrhundert haben Schimmel angesetzt und waren nie so angenehm zu bedienen wie ein facebook.

Die Campfire Inflation
E-Learning kämpft nicht mit technischen Problemen, auch nicht mit der Akzeptanz von Technologie, E-Learning konkurriert einfach mit vielen vielen anderen Orten die sozial wesentlich attraktiver sind als Aufenthaltsort als das langweilige LMS oder LCMS, dessen erste Programmcodezeile vor 8-10 Jahren geschrieben wurde. E-Learning leidet massiv an der Lagerfeuer Inflation bzw. der Campfire Inflation.

Die Disruption bzw. schöpferische Zerstörung dieser unsozialen Orte wird weiter voranschreiten dort wo die Nutzer die freie Wahl haben. Wenn die engagierten E-Learning-Verfechter keine sozial attraktiven Plätze im Netz schaffen – und dieses Netz wächst immer noch in einer atemberaubenden Geschwindigkeit – dann wird die Disruption zu einer faktischen Elimination führen.

Das Lernen wird dann einfach zu den bestehenden und neuen Lagerfeuern gehen müssen (der Berg muss dan zum Propheten), um sich zu behaupten. Die zukünftigen E-Learner werden nicht mehr mit den Füßen abstimmen, auch nicht mehr so oft mit ihren Händen auf der Maustaste sondern viel öfter mit den Fingern auf dem Touchdisplay. Die neuen Lagerfeuerbrennstellen entstehen gerade auf den Touchscreens neuer ultramobiler Zugänge zum Netz.

Das Mobiltelefonist tot, der mobile Zugang zum Netz jedoch (via Smartphone bzw. Smart Display) lebt. Zukünftig hat man die Möglichkeit seine Lieblingslagerfeuer in der Hosentasche mitzuführen. Ob die Bildungsinstitutionen wie z.B. Hochschulen jedoch in den Hosentaschen des 21igsten Jahrunderts vertreten sein werden? Ob sie dort jemals auch nur ein einziges Holzscheit zum brennen bringen? Das hängt davon ab, ob man begreift, dass Lernen ein sozialer Prozess ist und kein technisches Problem. Lernen findet da statt wo die Lagerfeuer brennen.

Höchste Zeit Holz sammeln zu gehen für ein großes Feuer, und die Fackel des E-Learning dort hinzutragen wo schon genug Feuerholz gesammelt wurde.

Update 3.10.2009
Eventuell kommt ja auch schon bald ein neues Produkt, dass die Lagerfeuer der Welt in den Klassenraum, den Hörsaal oder das Unternehmen hineinträgt: Microsofts Courier

Update 11.10.2009
Welcher Technologiehype auch immer uns als nächstes heimsuchen mag, den Humor behalten schadet nicht. So hab ich vor kurzem im Bibliothek2.0-blog folgenden schönen Comic von Geek & Poke entdeckt.

geek_and_poke
Quelle: Geek & Poke

…oder zunächst eine grundlegende Kritik an monolithischen E-Learning-Ansätzen an und für sich und ein Plädieren für die Projektmethode […] die den Communities of Practice Ansatz von Etienne Wenger kombiniert mit innovativen Konzepten des Medieneinsatzes […].

Bildungshack 2009: Die Unkonferenz „Bildung hacken“

Vor einigen Wochen hat mich Basti Hirsch gefragt, ob ich nicht meine Erfahrung bei http://bildunghacken.de/ einbringen möchte. Da hatte ich grade eine Menge Zeug um die Ohren mit viel ungeplanter Veränderung. Jetzt wird das Wasser wieder ruhiger und ich antworte „Warum nicht, Basti? Ich hacke für mein Leben gern.“

bildungshackr

Daher habe ich begonnen auf der Webseite http://wwweblern.pbworks.com/ gleich mal in bester Absicht ein wenig zu hacken. Der Aufruf zum HaCk ist als PDF abrufbar. Mal gucken wo es hinführt…

@Basti: Ich habe mir gestern die Webseiten detailliert durchgesehen. Das Thema und die Intention sind mir aber nicht richtig klar geworden. Für mehr Details, was denn konkretes Ziel sein soll und wo der Spass ist, bin ich dankbar. Die derzeitigen Ziele und Buzzwords (Konklave, Speedgeeking, PechaKucha, …) helfen mir nicht wirklich weiter. Ich hab den Eindruck ihr baut eine Menge Erwartungsdruck/Anspruch auf und löst Euch stark von dem Möglichen/Wirklichkeit. Das könnte die Sache schwierig machen. Eine kurze Antwort, warum ich zu diesem Hack-Event kommen sollte ist auch willkommen. :-D

Update 25.9.2009
powwow_09_v4_smallWas halten die werten Besucher dieses Blogs von einem EduHackr Spinoff in Bremen. Spinoff meint eine zeitgleich stattfindende Veranstaltung in Bremen, die jedoch inhaltlich eng an das Thema in Berlin angelehnt ist. Das Konzept der Unconference wird damit erweitert um die Unlocation bzw. das Offspinning dort wo sich genug Leute finden. Mir würde als ein erster Schwerpunkt vorschweben:

„Unser bestehendes Bildungssystem ruft nach sehr viel mehr Geld, um auch nur den Status Quo aufrecht zu erhalten. Wie können wir also die notwendige positive Dynamik in Gang bringen, ohne mehr Geld auszugeben? Wie können wir mit geringem Einsatz von Mitteln möglichst große Wirkungen erzielen“

Ich würde explizit das Thema Geld und i.e. Zahlungsmittel für Bildung zum Schwerpunkt machen wollen. Zwischen den Spinoffs und dem Spinoff-HQ-Node könnte man Live-Videostreaming machen, so dass jeder auch beim anderen reingucken kann. (Ispiration dazu von openlearning.net) Just a first idea… :-)

EduHack’r 09 Spinoff Bremen Webseite

Second idea bzw. Denkanstoss von wolleffm:

Why do I blog this? Unabhängig von den ganzen anderen Problemen die unsere Welt hat, ist Bildung einer der wenigen Wege, der meiner Ansicht nach aus der Krise helfen kann. Aufklärung hilft. Hacken hilft. Deshalb werd‘ ich versuchen etwas beizutragen zum Bildungshack 2009.

Die magische Lese- und Lernbrille

brille_4Soeben habe ich einen Film gefunden, der die Vorstellungskraft in Sachen Zukunft mal wieder beflügelt und die Dinge so herrlich einfach erscheinen lässt. In bester Tradition von Filmen wie „Knowledge Navigator“ zeigt der folgende Film die Vorstellung, wie man die Welt um Informationen die der Rechner liefert bereichern könnte.


Visionsfilm zur Augmented Reality (Quelle: „Education in augmented reality“)

Augmented Reality scheint seit die Smartphones mit eingebauter Kamera geliefert werden greifbarer denn je, aber wer näher hinterfragt, was es dafür alles braucht, der weiß genau, das was diese Filme zeigen ist derzeit reine Science Fiction mit mehr Fiction als Science. Folgende Dinge z.B. verhindern, dass diese Vision recht bald Wirklichkeit werden dürfte:

  • brille_1Energieleistung/Stromversorgung: Die Brille in dem Spot benötigt Strom, doch die Stromquelle ist nirgendwo sichtbar. Fazit: Fiktion
  • Rechnerleistung: Die gezeigten Einblendungen die die Brille als Overlay über die Realität erzeugt sind 3D-Formen, die aufwändige 3D Bildverarbeitung benötigen. Diese Art der Bildverarbeitung braucht allerdings besonders viel Rechnerleistung und Energie. Fazit: Fiktion
  • Bildschirmleistung/Brillendisplay: Tragbare Displays guter Qualität haben heute eine maximale Auflösung von guten 17 Zoll Bildschirmen, mit ärmlichen Kontrasten und noch ärmeren Farben. Sie sind oft klobig und schwer und benötigen extra Gurte, Clips oder Halterungen, um am Kopf befestigt zu werden, daher heißen sie auch oft HMD oder Head-Mouted-Display. Die gezeigte Brille scheint all dies überwunden zu haben. Fazit: Fiktion
  • Positionierungsleistung/Einblendungen: Die Augmentation selbst, die in dem Film in das Bild der Brille eingeblendet wird, benötigt eine exakte Positionierung. Doch wie will die Brille feststellen wo das Buch liegt und wo der rechte Rand des Buches endet, ohne eine eingebaute Kamera? Eine Kamera an der Brille ist nicht zu entdecken. Fazit: Fiktion
  • Netz-/Datenleistung: Die Informationen die die Brille in dem Spot liefert, scheint mühelos aus dem Nichts zu erscheinen. Es scheint völlig klar, dass das Buch eine 3D Zeichnung zeigt und die 3D Pläne sind natürlich gleich verfügbar. Doch wo holt diese magische Brille ihre Daten her? Welche Gebäudedatenbank liefert die 3D Darstellung eines Gebäudeplanes? Und wie findet die Brille so schnell die richtige Datenbank aus der diese Information (auch die Filme) so schnell abgerufen werden können? Diese Datenbank gibt es nicht! Genausowenig wie die drahtlose Datenübertragung in eine Brille ohne jegliche Antenne und ohne einen permanenten Internetanschluss mit den benötigten Breitbandleistungen. Fazit: Fiktion

brille_3Zusammengefasst sieht man hier also eine ziemlich „magische Brille“, die vielerlei Funktionen in sich vereint, die es heute einzeln zwar gibt, aber die in dieser Kombination derzeit nicht möglich sind. Am kritischsten ist wohl das Brillendisplay und die Energieversorgung, andere Dinge könnte man schon jetzt ganz gut realisieren. Was wir sehen ist dennoch Augmented Fiction oder Star Trek Technologie. Doch schon oft wurde Science Fiction von der Wirklichkeit eingeholt, so würde die Crew des Raumschiffs Enterprise ganz sicher beeindruckt sein durch die Smartphones mit Touchscreen die wir haben.

Update 6.8.2009
Ich bin natürlich nicht der einzige, dem gerade auffällt, dass Augmented Reality auf dem Vormarsch ist. Markus Breuer schreibt in seinem posting „Augmented Reality wird Mainstream!“, davon wie AR eigentlich schon die ganze Zeit über in den Startlöchern stand.

Ein weiterer Beitrag von Ihm hat ebenfalls einen Verweis auf einen Filmbeitrag zur AR.

Update 25.9.2009
Mittlerweile gibt es auch ein Making of zu dem tollen Film.

Update 11.10.2009
Und hier noch ein Film mit magischer Brille, diesmal von Nokia. Wenn es nach diesen ganzen Visionen geht, laufen wir also all bald mit Brillen auf der Nase herum, die aussehen wie Fensterglas, aber Telefon, Wecker, Mailprogramm, Tageszeitung und TV-Gerät in einem sind – mindestens.


Nokia präsentiert seine Vision von der Mobilen Zukunft (via Martin Ebner)

Why do I blog this? Ich habe den Eindruck, wir werden noch einige Augmented Reality Applikationen dieses Jahr zu sehen bekommen für Smartphones. Da freue ich mich drauf. Ich schätze jedoch, dass wir noch eher das Holodeck aus Star Trek bekommen werden als diese magische Brille, so schön sie als Lese- und Lernbrille auch wäre. ;-) Nimmt man allerdings in Kauf ein etwas schwereres gerät mit sich herumzutragen, z.B. ein iPhone, dann sieht die Sache schon wieder etwas anders aus. Kamera, Bildschirm, Internetstandleitung, Positionierungssensor, 3D-Datenverarbeitung und Zugriff auf alle Datenbanken des Internet. Fazit: Realität!