Topological Turn: Perspektive japanischer Philosophie auf Raum und Zeit des Menschen

Durch meine Schreibarbeit an der Dissertation bin ich auf eine wahre Goldmine in Sachen philosophischem Background gestoßen. Dadurch, dass ich nach Beispielen für Topologien gesucht habe – in der Arbeit stelle ich die Konstruktion einer „Proxemic Space Topology (PST)“ vor – bin ich auf den Einfluss japanischer Philosophie auf die Sichtweisen zu Raum und Zeit bzw. Ort als Raum-Zeit-Kontext gekommen.

Vor allem Nishida Kitarô (?? ???) hat es mir dabei angetan. In seinem Buch „Logik des Ortes“ stellt er eine Sammlung seiner drei wichtigen Arbeiten Ort (1926), Ich und Du (1932), Ortslogik und religiöse Weltanschaung (1945) vor. Vor allem seine Ausführungen zur Ortslogik und dem Begriff der Subjektidentität sind für mich wahre Augenöffner gewesen, bei der Entwicklung einer neuen Definition von Präsenz.

Prof. Nishida schreibt u.a.:

  • „Vielleicht denkt man, daß die einzelnen Dinge durch ihre Ränder miteinander verbunden sind, aber insofern der Rand zum je einzelnen Ding gehört, kann er die einzelnen Dinge nicht miteinander verbinden.“
  • „Ein Einzelnes ist etwas durch orthafte Bestimmung Bestimmtes.“
  • „Daher muß das Vermittelnde der wechselseitigen Beziehungen, in denen voneinander unabhängige Dinge aufeinander wirken, orthaft sein.“

Damit macht Prof. Nishida deutlich, was ein zentraler Punkt bei meiner Betrachtung von Proxemik ist: Der Ort, also die Information über den Raum-Zeit-Kontext ist das was uns Menschen miteinander verbindet, quasi das Vermittelnde. Die folgende Abbildung zeigt die verschiedenen Sichtweisen prima in der Übersicht, mein Fokus liegt auf der Position 6, bei der der Ort das vermittelnde Element ist.


Bildquelle: www.topisches-sozialsystem.de

Why do I blog this? Ganz einfach: Dieser Fund hat mir ungemein geholfen, auch den philosophischen Hintergrund meiner Arbeit zu erkunden. Für mich ist das ein kleines Hochgefühl, so nah an ein Thema der großen Denker heranzukommen mit der eigenen Arbeit, dass man plötzlich als Wirtschaftsinformatiker philosophische Abhandlungen liest. Einfach schön! Zugleich ist mir klar geworden, dass europäische Philosophen in dieser Hinsicht (Raum und Ort als Perspektive) lange Zeit arg „hinterherhinkten“, wenn man das so sagen kann. Erst der sogenannte Spatial Turn bzw. Topological Turn bzw. die Topische Wende brachte die westliche Philosophie in die Nähe der Erkenntnisse aus Japan. Durch diesen Fund bin ich zudem auf ein tolles Japan-Wiki gestoßen.
Nachtrag: Wer meint, Philosophie sei eine nutzlose Wissenschaft, der irrt gewaltig. In meiner eigenen Arbeit hat gerade die philosophische Sichtweise einen gewaltigen Beitrag geliefert – und das für eine Arbeit, die eine technische Lösung, eine Softwarekomponente für IT-Systeme vorstellt. Ich frage mich grade wie die Philosophie wohl Drittmittel oder Exzellenz-Anträge formulieren könnte, oder ob die „Nützlichkeit“ dieses wissenschaftlichen Bereichs nicht schon durch das Evaluationskriteriumsdiktat ad absurdum geführt wird.

7 Gedanken zu „Topological Turn: Perspektive japanischer Philosophie auf Raum und Zeit des Menschen“

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  2. hallo helge städtler,

    ich selbst habe ja vor einigen jahren philosophie studiert und wurde natürlich immer wieder gefragt, warum ich mich mit so etwas „brotlosem“ beschäftige … die nützlichkeit in vielerlei hinsicht derselben auch im wirtschaftsleben hat sich für mich persönlich immer wieder gezeigt. manchmal stehts natürlich auch im weg. aber wer tut das nicht … hat mich jedenfalls gefreut, dass ihnen das philosophische auch ein wenig zugefallen ist. zum thema raum und zeit gibts ja schon eine recht alte philosophische diskussion. recht früh bereits bei aristoteles, der auch etwas zu rändern bzw. hüllen sagte und den „natürlichen“ ort kannte. ein buchhinweis noch mit aktuellen studien zum thema raum aus unterschiedlichen disziplinen – möglicherweise schon bekannt, aber wer weiß – „raumtheorie. grundlagentexte aus philosophie und kulturwissenschaften“ (suhrkamp, 2006, 1. auflage).
    ist die these „Der Ort, also die Information über den Raum-Zeit-Kontext ist das was uns Menschen miteinander verbindet, quasi das Vermittelnde. “ allgemein gemeint oder nur bezogen auf diese idee der proxemik im kontext von kommunikationsbeziehungen? und auch die definition von „ort“ als „information über den raum-zeit-kontext“ ist vielleicht begrifflich nicht exakt genug?

    herzliche grüße
    beate bruns

  3. @Beate Bruns: Herzlichen Dank für den klasse Hinweis. Ich hab mir das Buch gerade in der Bibliothek bestellt. Amazon.de hatte mir das auch schon vorgeschlagen, aber einem Menschen traue ich dann doch mehr über den Weg. :-D

    Ich habe mich auch mit anderen Philosophen auseinandergesetzt, z.B. Derrida, Heidegger, Merleau-Ponty aber bislang vor allem mit Husserl’s Arbeit zur Phänomenologie. Nishida war für mich jetzt das passende Puzzleteil vor allem für die Kommunikationssicht/Proxemik.

    So gesehen, ist meine Aussage

    Der Ort, also die Information über den Raum-Zeit-Kontext ist das was uns Menschen miteinander verbindet, quasi das Vermittelnde.

    vor allem bezogen auf die Proxemik. Bei der Kommunikation spielt der Ort und die Zeit eine entscheidende Rolle, und diesen Aspekt find ich bei Nishida durch den Ort als das Vermittelnde sehr, sehr gut wieder. Das ist auch nicht eklektisch oder gar eklektizistisch, was ich mir durchaus auch schon vorwerfen lassen musste… ;-)

    Ich bringe das interessanterweise mit naturwissenschaftlichen Betrachtungen der Relativität vom Raum sehr gut zusammen. Nicht mehr lange und man kann es hoffentlich nachlesen, ich schreibe momentan was die Tastatur so hergibt. In Kürze ist es dann hoffentlich soweit, dass ich es anderen als gebundenes Werk zum Lesen geben kann.

    Für weitere Tipps bin ich übrigens völlig offen, vor allem Kritik finde ich sehr nützlich, weil diese mir Irrwege erspart…

    Euer Blog gefällt mir übrigens recht gut, vor allem das Interview mit der Susan Stucky hat mir sehr gefallen. Ach ja, und das Schäfchen unter dem Kommentareingabefeld gefällt mir super!! Die Idee hab ich mir auch gleich geklaut wie man hier sieht (Leuchtturm).

  4. hallo helge,
    vorausschicken möchte ich, dass ich jetzt zum „du“ wechsle, was mir passender erscheint.

    So gesehen, ist meine Aussage

    Der Ort, also die Information über den Raum-Zeit-Kontext ist das was uns Menschen miteinander verbindet, quasi das Vermittelnde.

    vor allem bezogen auf die Proxemik. Bei der Kommunikation spielt der Ort und die Zeit eine entscheidende Rolle, und diesen Aspekt find ich bei Nishida durch den Ort als das Vermittelnde sehr, sehr gut wieder. Das ist auch nicht eklektisch oder gar eklektizistisch, was ich mir durchaus auch schon vorwerfen lassen musste… ;-)

    mein satz bezog sich darauf, dass du „ort“ definierst (zumindest implizit) als „information über raum/zeit-koordinaten“. das erscheint mir etwas „ortlos“ … eine interpretation des ortes kann sicher diese „information … “ sein, doch frage ich mich, ob in deinem bild vom vermittelnden ort (die ellipse unter den beiden einzeldingen) damit rein die information gemeint sein kann. denn die information wäre ja jeweils nur der spezifische ort der einzeldinge. und eher nicht diese wolke. da ich das buch von nishida (die logik des orts) nicht kenne, fehlt mir vielleicht auch nur mehr kontextinformation … deshalb bleibt für mich auch der von dir zitierte satz „das Vermittelnde … muß orthaft sein“ noch recht dunkel (kein wunder …). hmmm. zu nishida würde ich direkt fragen: 1) wie kommt er dazu, das orthafte als die allein unterscheidende qualität des einzelnen festzustellen? (das muss er ja tun, wenn er später dies als das zentrale merkmal des vermittelnden herausarbeitet) 2) was ist bei ihm ein einzelnes ding? gehören auch tiere oder menschen dazu? … ich glaube, ich höre jetzt besser auf!

    Ich bringe das interessanterweise mit naturwissenschaftlichen Betrachtungen der Relativität vom Raum sehr gut zusammen. Nicht mehr lange und man kann es hoffentlich nachlesen, ich schreibe momentan was die Tastatur so hergibt. In Kürze ist es dann hoffentlich soweit, dass ich es anderen als gebundenes Werk zum Lesen geben kann.

    da wünsche ich weiter gutes schreiben – 80 tage sinds ja noch. und das ergebnis interessiert mich – vielleicht schickst du mir ja einen link darauf.

    Für weitere Tipps bin ich übrigens völlig offen, vor allem Kritik finde ich sehr nützlich, weil diese mir Irrwege erspart…

    danke für diese rückmeldung. ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das, was ich geschrieben hatte, tatsächlich so hätte schreiben sollen.

    Euer Blog gefällt mir übrigens recht gut, vor allem das Interview mit der Susan Stucky hat mir sehr gefallen. Ach ja, und das Schäfchen unter dem Kommentareingabefeld gefällt mir super!! Die Idee hab ich mir auch gleich geklaut wie man hier sieht (Leuchtturm).

    das freut mich!

    herzliche grüße
    beate bruns

  5. Liebe Frau Städtler,

    man schreibt nicht „Nishida-san“.
    Einfach „Nishida“, „Nishida Kitarô“ oder Prof. Nishida.

    Viele Grüße aus Köln

    G. Strala

  6. @Herr Jan Gerrit Strala: Okay! Ich wusste schon, dass ich da irgendwas falsch gemacht hatte, da ich aber nicht wusste was, hab ich es so geschrieben gehabt, wie es bis eben gerade noch war (Vor- u. Nachname in für Japaner „falscher“ Reihenfolge, und die anderen falschen Schreibweisen). Das liegt wohl auch daran, dass ich viel zu wenig über die Kultur weiss, tut mir leid. Normalerweise korrigiere ich das sichtbar, ich hab es jetzt ausnahmsweise mal „spurlos korrigiert“. Gleichzeitig darf ich dann aber auch bei Ihnen korrigieren, dass es sich bei mir um „Herrn Städtler“ handelt. ;-) Gruss nach Köln.

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