Die Überraschungseier der Osterhasenpädagogik

Eine Nachricht die gerade mächtig Staub aufwirbelt, hat der ZEIT den Anlass gegeben unter dem Titel Beschämung – ein deutscher Komplex einen Artikel zu verfassen. Er bezieht sich auf den Bericht von Vernor Muñoz, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, über die Ungerechtigkeiten im deutschen Bildungssystem. Aber das ist nicht der Punkt, der mich nun gerade sonderlich interessiert hat. Spannend und absolut lesenswert finde ich die Worte von Dr. Wolfgang Edelstein, emeritierte Direktor des Max-Planck- Instituts für Bildungsforschung, die in der ZEIT zu lesen sind. Folgendes Zitat aus dem Zeit-Artikel gibt die Essenz prächtig wieder:

Und warum frönen viele Lehrer immer noch der „Osterhasenpädagogik“, in der sie Wissen verstecken, um ihre Schüler danach suchen zu lassen? Warum nur interessieren sich Lehrer häufig so sehr für die Fehler der Schüler, und zwar nicht, damit diese daraus lernen, sondern um sie ihnen anzukreiden?

In dem Zusammenhang passt ein Interview mit dem Titel „Lernen ist erfolgreich, wenn erfolgreich an Vorwissen angeknüpft werden kann das die Seite Bildung PLUS mit Frau Prof. Dr. E. Stern geführt hat. Denn darin wird in einem weiteren Zitat dem Osterhasen-Prinzip eine klare Absage erteilt:

Der deutsche Schulunterricht ist zu lehrerzentriert. Man spricht auch von der Osterhasenpädagogik: Der Lehrer versteckt das Wissen, und die Kinder müssen es suchen, indem sie Fragen beantworten. Schüler, die wissen, was der Lehrer gemeint hat, kommen gut raus, und der Rest bleibt auf der Strecke.

Besser lernt man, wenn man eigenständig eine komplexe Aufgabe bearbeitet, deren Lösung nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. In einem derartigen Unterricht sind Lehrer natürlich stärker gefordert. Einerseits müssen sie sich sehr genau überlegen, welche Aufgaben den Kindern weiter helfen, und andererseits müssen sie sehr nahe an dem Wissen der Schüler sein, damit sie erkennen können, welche Missverständnisse bestimmten Fehlern zugrunde liegen.

Man könnte es auch so sagen: Beim schlechten Unterricht müssen die Schüler herausfinden, was der Lehrer gemeint haben könnte, während beim guten Unterricht der Lehrer herausfindet, was der Schüler gemeint haben könnte und wie man halb Verstandenes in die richtige Richtung lenkt.

Update 7.7.2013
Frieder_Nake_2001Ich habe einen herrlich passenden Kommentar von Frieder Nake im Blogpost von Andrea Back gefunden, der sich auf das Thema „Simplify your Life Long Learning“ bezieht. Darin werden so tolle Werke wie „Lean Brain Management – Erfolg und Effizienzsteigerung durch Null-Hirn“ erwähnt. Und der Herr Nake schenkt mir ein „Hach!“ mit folgendem Bonmot in dem er auf die Postulierung von „[…] mindestens ertrinkt unsereins fast in der Informationsflut […]“ eine Fußnote ergänzt:

Frieder Nake
Liebe Frau Back,

Ihre neuesten fragend-kommentierenden Hinweise auf lesestoff und Positionen provozieren mich doch einmal wieder zu einer komplimentierenden Fußnote eines Lesers Ihrer regelmäßigen Mitteilungen. “Dummheit ist lernbar” leuchtet mir sofort ein, besonders mit der geschwind in die Gedanken eindringenden Interpretation: “… weil sie gelehrt wird”, vielleicht sogar: weil sie “vor allem lehrbar” ist.

Jene Lehrenden, frage ich mich gelegentlich, die der Klagen über die “schlechter” daher kommenden Schüler und Schülerinnen, Studentinnen und Studenten nicht müde werden, dürften eventuell die Quelle einer systematischen Verdummungs-Lehre sein. Denn wie will einer, der (oder die) nicht vom Vertrauen in die Lernenden ausgeht, von ihren Interessen und ihrem Willen, wie will so einer dazu beitragen, dass solche Menschen weitere oder gar bessere Gelegenheiten ergreifen in ihren Lernprozessen?

Dass es eine Kunst ist, nicht zu lernen, liegt gleichfalls nahe. Eine hohe Kunst muss das sein, eine wohl gar unmögliche Haltung. Denn Leben ist nichts als Lernen, soweit Leben ein ständiges Anpassenan Gegenheiten ist, die sich ändern, und also erste Stufe von Lernen. Leben ohne zu lernen kann ich mir schlicht nicht vorstellen, auch wenn ich in meiner eigenen Umgebung immer wieder meine, dieser und jener Kollege könne nun aber, weiß der Teufel, doch endlich mal “etwas begreifen”. Frage ich mich etwas skeptischer, so stelle ich fest, dass nur wieder meine Erwartungen in die Art oder den Inhalt dessen enttäuscht worden sind, was der andere lernt. So scheinen mir viele meiner diesbezüglichen Bewertungen und Urteile kaum mehr zu sein als raffinierte indirekte Formulierungen eigener Vorurteile, projiziert auf andere und mit dem Nimbus der Position eines Lehrers abgegeben.

Sie werden in Ihrer schönen persönlichen Schreibart sich wieder einmal der Informationsflut bewusst, in der Sie wie alle anderen relativ hilflos rudern. Ein sehr unangenehmer Zustand, gegen den kaum jemand weiß, wie das Schwimmen wieder schön werden könnte. Ein Hinweis auf einer Metaebene, der allerdings nicht mehr ist als eben Meta: “Datenflut” scheint mir das zu sein, das Sie und mich von den Füßen holt. Nicht “Informationsflut”. Daten sind das, was herumströmt und immer schneller und mehr. Was Gemeinschaften daraus zu Information werden lassen und Individuen zu Wissen, ist etwas ganz anderes. Es bleibt schön menschlich begrenzt.

Betrachten wir die Daten als Daten, so werden sie uns nicht irritierend um die Ohren geschlagen. Wir bleiben getrost, weil wir wissen, dass schon seit langem die Daten allenthalben und reichhaltig waren. Richtig dürfte allerdings sein, dass sie schnell und schneller kreisen.

Ich darf mich auf Ihre nächste Aussendung von Daten freuen, immer gut gebündelt, ausgewählt, schön in Form gebracht. Da suche ich mir gern heraus, was ich mir zur Information machen möchte.

Beste Grüße,
Frieder Nake

#1Kommentar vom 26. Oktober 2006 um 14:59

Why do I blog this? Ich kann dem Artikel der Zeit insbesondere in Sachen Osterhasenpädagogik nur zustimmen, und da wir ja gerade auf Ostern zusteuern passt das natürlich prima als Wortspiel. Ob man nun für eine Änderung dieses Verhaltens von Lehrern gleich mal das ganze Schulsystem ändern muss ist aus meiner Sicht aber eine andere Frage. Ob nun Osterhasenpädagogik oder Weihnachtsmanndidaktik (Nur wer brav ist gewinnt im System Schule). Der Glaube an Weihnachtsmann und Osterhasen endet ab einem bestimmten Alter ja meistens, vielleicht ist das also nur eine Altersfrage… ich habe gehört die Kinder heutiger Zeit glauben schon in immer jüngeren Jahren nicht mehr an Osterhasen und Weihnachtsmänner. Sieht so aus als würde es eng werden für die Lehrkonzepte die auf diesen Glauben aufbauen. Aus meiner Sicht ist für Osterhasenpädagogik jedenfalls selbst an Ostern die falsche Zeit!

6 Gedanken zu „Die Überraschungseier der Osterhasenpädagogik“

  1. hallo helge,

    danke, danke … einer der besten artikel die ich in letzter zeit gelesen habe …
    ich lehne mich gleich soweit aus dem fenster als ich behaupte du hast auch der österreichischen seele aus dem herz geredet ..

    tja, also schauen wir mal was der schulosterhase heuer wieder für eier legt …

    liebe grüße aus graz
    martin

  2. @Mandy + Martin: Ich denke auch es gibt wahnsinnig viele Beispiele für sehr gutes Lehren. Schade, dass so wenig darüber berichtet wird bzw. man die trotzdem oft lange suchen muss, weil sie kaum Öffentlichkeit und gute Presseberichterstattung bekommen.

    Ich fand den Beitrag in erster Linie deshalb ganz sinnvoll, weil sich da auch in den Kommentaren bei der Zeit wieder viele Leute beteiligt haben, was vielleicht interessant ist zum Lesen. Meine Überschrift ist auch irgendwie arg plakativ gewesen, aber ich konnte da einfach nicht widerstehen. Gerade so kurz vor Ostern. :-D

    Danke dir für den Podcast/Audio-Link Mandy (werd‘ ich mir in Ruhe mal anhören).

    Update
    Ich hab es mir eben angehört, was soll ich sagen, ein klasse Beitrag! Jeder sollte dieses Audio anhören. Vielen Dank dafür!

  3. @Mandy: Ein Text den ich gerade gelesen habe und der perfekt anschließt an das was die ZEIT schreibt, ist der Abschnitt „Die normierende Sanktion“ im Kapitel „III. Disziplin: Mittel der guten Abrichtung“ in dem Buch von Michel Foucault „Surveiller et punir. La naissance de la prison“ (Seite 230 in der deutschen Ausgabe von 1994).

    Dort zitiert Foucault Jean-Baptiste de la Salle(*) mit folgenden Worten:

    Unter Bestrafung, Züchtigung, Korrektion etc. muß alles verstanden werden, was fähig ist, die Kinder die Fehler fühlen zu lassen, die sie begangen haben; alles, was geeignet ist, sie zu demütigen, zu beschämen…; sie gewissermaßen kaltsinnig, gleichgültig, demütigend zu behandeln, ihnen etwas zu entziehen, sie von einem übertragenen Amte zu entsetzen…

    Mir scheint, die Ideen des Herrn de la Salle aus dem 17. Jahrhundert haben relativ erfolgreich das 21. Jahrhundert erreicht. Dafür gebührt Herrn de la Salle eine gehörige Portion Respekt gezollt, oder? ;-)

    * = Das ist der Mann, den am 15. Mai 1950 Papst Pius XII. zum Schutzpatron der Lehrer erklärte.

  4. Dazu fällt mir ein, dass Alice Miller in „Am Anfang war Erziehung“ aus meiner Sicht sehr anschaulich die Probleme von Züchtigung, Bestrafung und Demütigung bei der Kindererziehung (und damit auch -bildung) darstellt. Aus ihrer Sicht legen solche Methoden die Grundsteine für vielfältige gesellschaftliche Probleme. Da frage ich mich, was wir alles erreichen und auch verhindern könnten, wenn wir denn mal konsequent die gegenteiligen Methoden zu Züchtigung etc. zur Anwendung bringen, also wie du auch schreibst/zitierst, mal nicht auf die Fehler sondern auf das *Können* zu schauen und dieses weiter zu entwickeln. Das Potenzial scheint mir ausreichend, dass man nicht mal über eine Reform der Schulstrukturen diskutieren müsste.

  5. @Susanne: Danke für den Buchtipp! Das Buch ist mir zugegebenermaßen vollkommen unbekannt… aber ich bin ja auch eher der „Technik-Mensch“ woher soll ich das also kennen ;-)

    Ich denk‘ der Begriff „Reform“ ist sowieso recht inflationär im Einsatz, vor allem wenn es um Politik geht. Mehr „Menschliche Vernunft“ ist mir symphatischer als Begriff, das ist greifbarer und nicht so abstrakt wie „Reform“.

    Wenn man das mal auseinandernimmt als Wort „Reform“ = „Re-Form“ also „neu formieren“ oder „umformen“, dann zeigt das auch das ’ne Reform nicht taugt, denn eine blosse Umformung reicht ja nicht. Wenn dann müßte es schon eine „Newform“ sein, oder so. :-D

    Aber wer wagt schon gerne Neues? Dann lieber Altes neue Anordnen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.