Swarming mit „Eyebees“-beta

Proxemik ist meine Leidenschaft, und die virtuelle Proxemik ist mein Dr.-Arbeitsthema. Heute habe ich an der Arbeit geschrieben und den Teil über die Software Eyebees bearbeitet. Sicherheitshalber bin ich auf der Webseite (die vor kurzem offline gegangen ist) nochmal vorbeigesurft. Und eine Überraschung hat sich aufgetan: Eyebees gibt es wieder und zwar Web 2.0 konform als JavaScript-Widget.

Ab jetzt sehen meine Besucher also rechts auf der Seite die Beta von Eyebees (solange es keine größeren Nebenwirkungen gibt probiere ich das jetzt aus) und können so sogar mit anderen Besuchern über einen Chat in Kontakt treten, das nennt man dann „swarming“. Also nicht wundern, wenn ich demnächst auch mal auf den Chatbutton drücke. Ich würde mich freuen einen meiner Besucher mal im Chat abzufangen. :-D


Zeig mir das mal als Film, wie das geht! (QuickTime Movie)

Wer sich für den Hintergrund dieser Technologie interessiert, der kann auch die anderen beiden Beiträge von mir nochmal lesen, „Mensch im Web, wo bist Du?“ und „‚Lluna‘ ist jetzt ‚Zweitgeist'“.

Topological Turn: Perspektive japanischer Philosophie auf Raum und Zeit des Menschen

Durch meine Schreibarbeit an der Dissertation bin ich auf eine wahre Goldmine in Sachen philosophischem Background gestoßen. Dadurch, dass ich nach Beispielen für Topologien gesucht habe – in der Arbeit stelle ich die Konstruktion einer „Proxemic Space Topology (PST)“ vor – bin ich auf den Einfluss japanischer Philosophie auf die Sichtweisen zu Raum und Zeit bzw. Ort als Raum-Zeit-Kontext gekommen.

Vor allem Nishida Kitarô (?? ???) hat es mir dabei angetan. In seinem Buch „Logik des Ortes“ stellt er eine Sammlung seiner drei wichtigen Arbeiten Ort (1926), Ich und Du (1932), Ortslogik und religiöse Weltanschaung (1945) vor. Vor allem seine Ausführungen zur Ortslogik und dem Begriff der Subjektidentität sind für mich wahre Augenöffner gewesen, bei der Entwicklung einer neuen Definition von Präsenz.

Prof. Nishida schreibt u.a.:

  • „Vielleicht denkt man, daß die einzelnen Dinge durch ihre Ränder miteinander verbunden sind, aber insofern der Rand zum je einzelnen Ding gehört, kann er die einzelnen Dinge nicht miteinander verbinden.“
  • „Ein Einzelnes ist etwas durch orthafte Bestimmung Bestimmtes.“
  • „Daher muß das Vermittelnde der wechselseitigen Beziehungen, in denen voneinander unabhängige Dinge aufeinander wirken, orthaft sein.“

Damit macht Prof. Nishida deutlich, was ein zentraler Punkt bei meiner Betrachtung von Proxemik ist: Der Ort, also die Information über den Raum-Zeit-Kontext ist das was uns Menschen miteinander verbindet, quasi das Vermittelnde. Die folgende Abbildung zeigt die verschiedenen Sichtweisen prima in der Übersicht, mein Fokus liegt auf der Position 6, bei der der Ort das vermittelnde Element ist.


Bildquelle: www.topisches-sozialsystem.de

Why do I blog this? Ganz einfach: Dieser Fund hat mir ungemein geholfen, auch den philosophischen Hintergrund meiner Arbeit zu erkunden. Für mich ist das ein kleines Hochgefühl, so nah an ein Thema der großen Denker heranzukommen mit der eigenen Arbeit, dass man plötzlich als Wirtschaftsinformatiker philosophische Abhandlungen liest. Einfach schön! Zugleich ist mir klar geworden, dass europäische Philosophen in dieser Hinsicht (Raum und Ort als Perspektive) lange Zeit arg „hinterherhinkten“, wenn man das so sagen kann. Erst der sogenannte Spatial Turn bzw. Topological Turn bzw. die Topische Wende brachte die westliche Philosophie in die Nähe der Erkenntnisse aus Japan. Durch diesen Fund bin ich zudem auf ein tolles Japan-Wiki gestoßen.
Nachtrag: Wer meint, Philosophie sei eine nutzlose Wissenschaft, der irrt gewaltig. In meiner eigenen Arbeit hat gerade die philosophische Sichtweise einen gewaltigen Beitrag geliefert – und das für eine Arbeit, die eine technische Lösung, eine Softwarekomponente für IT-Systeme vorstellt. Ich frage mich grade wie die Philosophie wohl Drittmittel oder Exzellenz-Anträge formulieren könnte, oder ob die „Nützlichkeit“ dieses wissenschaftlichen Bereichs nicht schon durch das Evaluationskriteriumsdiktat ad absurdum geführt wird.

Proxemische Information: Praktischer Wert für U-Bahnfahrer

Gestern habe ich einen Vortrag über den Stand meiner Dissertation gehalten. Das Kernprinzip einer Softwarekomponente – die ich in der Dissertation entwickelt habe – habe ich dort versucht anhand der Idee des Schattentheaters zu verdeutlichen. Dafür habe ich eine von mir als „Proxemic Box“ bezeichnete Konstruktion vorgestellt, die einen Teil des Algorithmus dieser Software anfassbar, erlebbar und somit be-greifbar machen sollte. Hier ein paar Bilder von der Box, die ich ja hier bereits indirekt angekündigt hatte (in Kürze mehr).


Bild anklicken für große Darstellung

Nach dem Vortrag habe ich den tollen Hinweis bekommen, dass die U-Bahnen in Brüssel proxemische Information (fast wie im Schattentheater) in den Stationen auf Streckenanzeigen übermitteln („Danke!“ an Elin). Es wird als eine Art Warteinformation die gesamte Strecke einer Linie gezeigt und die aktuellen Aufenthaltsorte von einzelnen Zügen mit einem leuchtend roten Punkt markiert. Danach bin ich heute sofort in flickr auf die Suche gegangen und habe die Anzeige tatsächlich gefunden. Flickr-user Martijn de Visser hat folgendes Bild von der Anzeige geschossen:


Bild anklicken für große Originaldarstellung

Zum Vergleich hier ein Bild ohne Proxemik (von flickr-user Bint), der ganz normale Streckenplan.

Update 16.6.2007
Auf den Webseiten von DesignTaxi habe ich einen Artikel gefunden, der einen interessanten Beitrag liefert zur Proxemik in der Realität und in der Virtualität. Das wäre weiter nicht erwähnenswert, wenn diese Seite nicht vor allem Designer vorstellen würde, die die Produkte der Zukunft entwerfen, also Business betreiben. In dem Beitrag, schreibt Tim Leberecht, Director of Marketing bei frog design, dass durchaus ein beträchtlicher Teil an elektronischen Produkten wie z.B. dem iPod gekauft werden, weil sie die intime Distanzzone erweitern – also proxemisch verändern – sollen, damit man sich im öffentlichen Raum nicht so bedrängt fühlt sondern signalisiert: „Hier bin ich und ich möchte nicht gestört werden, bzw. komm‘ mir nicht zu nahe.“. Er schreibt:

[…] I wonder what percentage of music player, game console, PDA, and cell phone sales can be attributed to consumers’ quest for overcoming unwelcome intimacy. […] As the population increases and cities become denser the world population has doubled in the past 40 years and the US population tripled over the course of the Twentieth Century), understanding proxemics is becoming more and more critical not only to developers and urban planners but also to product and interaction designers.

In dem Beitrag wird auch Nick Yee’s Studie über Proxemik in Second Life angesprochen. Ein Film mit ihm mit dem Titel „Don’t Stand So Close To Me“, der das Prinzip der Proxemik sehr schön am Beispiel Second Life erklärt ist bei bryantpark zu sehen.

Update 26.7.2007
Soeben habe ich eine weitere Entdeckung einer proxemischen Anzeige gefunden. Wieder ist es eine Anzeige für den öffentlichen Nahverkehr, diesmal aber nicht für die U-Bahnstation sondern für zu Hause. In Tokyo gibt es die Yamanote Linie, die tatsächlich im Kreis fährt. Damit man als Nutzer der Linie seinen Gang zur Station gut vorausplanen kann, berechnet diese Anzeige die zugleich eine praktische Uhr ist, die Information über die Züge und wo diese gerade sind. Das kann man deshalb so exakt berechnen, weil die Uhr mit einem Funksignalempfäger ähnlich dem deutschen DCF77-Signal ausgestattet ist und die Züge in Japan eben pünktlich fahren. Ein für Deutschland also völlig unnützes Produkt, höchstens für die Schweiz geeignet. (via infosthetics, ohgizmo und boingboing)


Originalbild der Anzeige und nach einer Polarkoordinatentransformation.

Damit man sieht, das das im Prinzip nichts anderes ist als die Anzeige in Brüssel, habe ich das Bild mal testweise einer inversen Polarkoordinatentransformation unterzogen. Da sieht man, wie der Kreis zu einer Linie wird. Innerhalb der Züge ist die Anzeige übrigens auch bemerkenswert, dort zeigt ein Rechteck die Kreislinie der Bahn an, siehe folgender Screenshot (Quelle: wikipedia, und dann nachbearbeitet).

Interessant ist, die Yamanote hat auch ganz tolle Audio-Hinweise für die jeweiligen Stationen. Wenn man also drinsitzt, spielt je nach Station eine andere Melodie. So braucht man nicht großartig die Sprache verstehen, sondern nur seine Melodie der gewünschten Station erkennen.


Depublizierungsschutz

Why do I blog this? Nun, ich bin ein wenig stolz drauf, dass es mir gelungen ist, mit der Idee von der Proxemic Box ein im wahrsten Sinn des Wortes „einleuchtendes“ und zugleich „begreifbares“ Modell einer Softwarekomponente meiner Dissertation zu realisieren. Es hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht, auch mal etwas zu konstruieren, für das man keinen Computer einschalten muss, um es jemandem zu zeigen, ein Schattentheater eben, das allein mit etwas Licht schon prima funktioniert. Die Beschaffung der Materialien im Baumarkt war reine Freude (Holzpellets, schwarze Lackfarbe, verzinkter Draht) und noch der Schreibwarenladen (ziemlich teures Transparent/Blaupausen-Papier für Ingenieure, ein Profi-Cutter-Messer, zwei Plastik-Schnellhefter blau/pink, einen aus schwarzer Pappe), den Karton hatte ich bereits. :-D
Das Kleben des Transparentpapiers erwies sich als trickreich, denn es fing an sich zu wellen, bei normalem Klebstoff, so dass Tesafilm den Job übernehmen musste. Lackieren dagegen war einfach und schnell gemacht. Das Schneiden des Schriftzuges war mit der aufwändigste Arbeitsschritt, aber jedes Kindergartenkind und jeder Marketingexperte wissen: „Ohne Branding/Namen kein (ungestützter) Bekanntheitsgrad/keine Verständigung.“ bzw. worüber soll man sprechen, wenn man für ein „Ding“ keinen Namen hat? Weil es soviel Spaß gemacht hat (auch wenn vom Samstag der Vor- und Nachmittag dabei komplett draufgegangen sind) hab ich auch ein kleines Fotobuch dazu gemacht mit dem glücklichen Konstrukteur an der Seite. Für die finale Vorführung musste dann noch ein Schnäppchenkauf für den „roten Vorhang“ her, ein rotes Seidentuch aus der „Galeria/Kaufhof“ ist es dann geworden (Jetzt wird klar, warum auch der Samstagvormittag dran glauben musste, der „Shopping“-Teil in der Damenabteilung war mit der streßreichste Part; Das Ergebnis war es aber wert!).