studiVZ: Das Lehrveranstaltungssystem 2.0?

logo-studivzSeit dem grandiosen Erfolg von FaceBook in den Vereinigten Staaten, wird das Konzept der Vernetzung von Studierenden mit einem Softwareportal in Deutschland derzeit höchst erfolgreich mit dem Studierendenverzeichnis (kurz studiVZ) kopiert. Die (Presse-)meldungen dazu überschlagen sich quasi (siehe auch Chartgrafik von Technorati: Letzte 180 Tage Begriff

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  1. StudiVZ: Europas größtes Studentennetzwerk (Netzwelt)
  2. StudiVZ wächst (Basic Thinking Blog)
  3. StudiVZ wächst schneller als OpenBC! (Gründerszene.de)
  4. studiVZ.net startet Europas größtes Studenten-Netzwerk (IT Newsbyte)
  5. Andere arbeiten lassen: studiVZ (Manager Magazin) siehe auch das AAL-Prinzip

Ziel der Entwickler ist es nach eigenen Angaben die Hochschulen Europas zu vernetzen, universitäre Grenzen aufzubrechen und ihren Kommilitonen und studentischen Organisationen eine sichere, intuitiv zu bedienende und kostenlose Netzwerkplattform zu bieten, die dazu noch Spaß macht. An Selbstbewußtsein mangelt es den Schöpfern des studiVZ (Ehssan Dariani, Dennis Bemmann und Michael Brehm) kaum, verkünden sie doch gerade in ihrem System:

„Das alte Lehrveranstaltungssystem ist einem überragenden, einem grandiosen neuen gewichen. Trocknet eure Tränen, atmet auf und findet endlich alle Kommilitonen eurer Kurse.“

Das läßt aufhorchen: studiVZ möchte die gleiche Aufgabe erfüllen wie ein Lehrveranstaltungssystem? Ob nun Moodle, stud.ip, WebCT oder Clix, der Erfolg von studiVZ scheint gegen die genannten Systeme ein vergleichsweise leichter Erfolg zu sein. Es gibt keine technische Anbindung an irgendeine Uni und Rechenzentrumsmitarbeiter einer Uni würden kopfstehen angesichts des lockeren Datenschutzes für die personenbezogenen Daten. Statt „gruscheln“ dürfte es daher so einige eher „gruseln“ bei dem Gedanken an einen persönlichen „Datenstrip“.

Es handelt sich auch nicht um eine E-Learning Umgebung oder ein Lehrveranstaltungssystem, sondern um eine Social (Networking) Software. Die studiVZ-Entwickler dürften vor ganz anderen Problemen stehen, wenn sie sich an ein Veranstaltungsmanagementsystem begeben würden. Es zeigt aber deutlich, dass der soziale Faktor beim Lösungsangebot der Unis offenbar unterschätzt und kaum bedient wird. Bei einer derzeitigen Nutzerzahl von ca. 1 Mio (nach Auskunft von studiVZ) ist der Effekt von Metcalfe´s Gesetz jedenfalls offensichtlich. Wie schon bei MeinProf.de werden hier Fakten geschaffen ausserhalb der Universitäten. In Sachen Merchandising (wie man links sehen kann) ist die Verzeichnislösung derzeit dabei eine eigene Popkultur und Markenidentität aufzubauen rund um den Begriff „gruscheln“.

Update 14.11.2006
Wer einen detaillierten Einblick in das Geschehen rund um studi.vz erhalten möchte, der sollte direkt das Weblog des Jungunternehmens aufsuchen. Dort kann man die „authentic voice“ unverfälscht vernehmen. Das sollte man vielleicht auch tun, bevor man die Bewertungen anderer Websites und Blogs heranzieht, um sich zuvor ein Eigenes Bild machen zu können.

Update 22.11.2006
Wer noch nicht wirklich weiss, was studiVZ ist, oder einfach nach den geschäftsbedingungen nicht berechtigt ist sich bei studiVZ anzumelden, der kann sich einfach mal diesen Ausschnitt über das System bei der ARD ansehen: Video bei YouTUBE. Das fasst die Sache ganz gut zusammen aus meiner Sicht.

Update 28.11.2006
Hmm, angesichts solcher Schlagzeilen: Man sollte vielleicht tatsächlich eine Securityfirma PR-wirksam aufkaufen. Dass man komplette Accounts „grabben“ kann ist nicht mehr als negative PR abzutun, es ist ziemlich massiver Vertrauensverlust der da stattfindet. Zu einem grossen Teil ist das meiner Ansicht nach der Verwendung einer WebApplication Technologie anzulasten, die sehr viele Angriffspunkte für derartige Lücken anbietet. Ich frage mich, ob studiVZ derlei Probleme hätte, wenn eine Java Enterprise Solution im Hintergrund Dienst tun würde und nicht etwa eine scriptbasierte Sprache wie PHP. „SQL und JavaScript-Injections“ sind jedenfalls alte Bekannte bei Scriptsprachen, die für WebApplications genutzt werden ebenso „Cookie-Hijacking“.

Nach meiner Ansicht, sollten sich jedoch die Personen, die derzeit offenbar studiVZ massiv mit technischen Mitttel angreifen (hacken) zurückhalten. Es gibt Gesetze in Deutschland! „In Deutschland ist die rechtswidrige Datenveränderung (§ 303a StGB) und Computersabotage (§ 303b StGB) ebenso wie das Ausspähen von Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, (§ 202a StGB) eine Straftat.“ (Quelle: Wikipedia) Und eines wird studiVZ ganz sicher haben: Die Logfiles der IP-Adressen von denen Angriffe ausgeführt wurden. Wer sich da jetzt mit seinen technischen kenntnissen herausgefordert sieht rechtswidrige Angriffe gegen einen Dienst auszuführen, der sollte damit rechnen, das er Kosequenzen der der deutschen Rechtssprechung zu erwarten hat, wenn so mit diesem Wissen umgeht. Ein Hinweis an studiVZ (so einem wirklich daran etwas liegt, das die Sicherheit dort besser wird) sollte ausreichen, es muss kein Proof-of-Concept ausgeführt werden, der das gesamte System in den Boden fährt. Wenn es mein System wäre würde ich jedenfalls sämtliche technischen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen rechtswidrige Handlungen zu unterbinden!

Update 30.11.2006
Nachtrag aus der Presse: Ein weiterer Bericht über studiVZ bei der taz.

Update 28.12.2006
Der Podcast des Fachbereichs Medien der Fachhochschule Mittweida hat ein exklusives Interview mit dem Autor Rainer Meyer (alias DonAlphonso) von der Webseite blogbar.de veröffentlicht. Das ist vielleicht ganz interessant einfach mal ein Audio von diesem Menschen zu hören. Nachfolgend habe ich es direkt verlinkt mit dem Audioplayer, um es hier gleich anhören zu können:
Interview mit Rainer Meyer:
[audio:http://www.htwm.de/daily/ipp/uploads/media/don_alphonso_-_studivz.mp3]

Update 3.1.2007
Für 100 Mio Euro verkauft an den Bieter mit der Nummer…
Laut Spiegel.de ist studi.vz nun offiziell verkauft worden. Ebenfalls berichtet heise.de, dass auf dem Chaos Communication Congress eine Auswertung der über 1 Mio studivz-Profile vorgestellt wurde. Folgende Grafik zur Verteilung der Studiengänge finde ich sehr interessant (vor allem der hohe Anteil Wirtschaftswissenschaftler!):

Update 5.1.2007
Offenbar waren es doch nicht ganz 100 Mio, wie GigaOM in seinem Artikel „Facebook Clone Is Bought“ schreibt, sondern eher ca. 85 Mio.

Update 6.1.2007
In Telepolis ist ein Artikel über studivz von Torsten Kleinhenz erschienen mit dem Titel „Wo Spaß und Leichtsinn herrschen„.

studi.vz GründerUpdate 22.6.2007
Auf einer kürzlich stattgefundenen Konferenz hat Ehssan Dariani (Mitgründer von studi.vz) am 14. Juni 2007 einen Vortrag über das studi.vz und seine Entwicklung gehalten. Offenbar sind die Folien seines Vortrags (im Gegensatz zu den Filmaufzeichnungen, die offenbar nur gegen 100 Euro per Zugang freigeschaltet werden können) und andere Vorträge des Events öffentlich zugänglich (siehe Screenshots 1 + 2 meines Browsers). Daher verweise ich an dieser Stelle einmal auf die Präsentation (als PDF) mit einem Link.

Why do I blog this? Als jemand der selbst versucht durch technische Campuslösungen die IT Landschaft im Education-Bereich zu bereichern (aktuell arbeite ich gerade an einem neuen Release von EverLearn), finde ich es beeindruckend, welchen Erfolg studiVZ offenbar hat und frage mich warum. Gerade was das „Soziale Netzwerk“ angeht finde ich das natürlich interessant und versuche davon zu lernen. Ebenso wie openbc richtet sich die Lösung an eine ganz bestimmte Zielgruppe. Somit wird das auch ganz sicher für Marketing interessant sein, denn wer möchte nicht z.B. gezielt die Gruppe der „Studierenden“ als Consumer ansprechen. Ich bin mal gespannt wie lange studiVZ noch werbefrei bleibt, oder ob die Netzwerk- und Personendaten in Kürze an Marketinganalysten verkauft werden. Als Studierender würde ich mir jedenfalls zweimal überlegen es zu nutzen. Die Freizügigkeit mit der persönliche Daten und Kontaktnetze offengelegt werden ist zumindest überdenkenswert!
Ich ordne mich damit gerne in die Liste der Skeptiker ein, denn wie schreibt Falk Lüke im Zeit.de Blog so schön: „Es ist Zeit für eine neue Ehrlichkeit. Im Internet wird nichts mehr versteckt. Denn wir haben uns alle lieb und wollen uns nichts böses. Nichts zu verbergen, also auch nichts zu befürchten. Bis das erste Mal ein potenzieller Arbeitgeber die Bewerbung mit dem Vermerk ‚Sie haben die falschen Freunde‘ zurückschickt.“
Angesichts des beispiellosen Datenstrip der studiVZ-Nutzer für eine vermutlich durch sogenanntes CrowdSourcing im Aufbau befindliche Consumer Community, kann die Frage, ob studiVZ nun das neue Lehrveranstaltungssystem 2.0 wird derzeit aus meiner Sicht getrost verneint werden. Allein schon wegen des mangelnden Datenschutzes! Probleme bei der Jobsuche durch zuviele private Daten (Motto: „Schöne Partyfotos von Ihnen, trinken Sie öfter Alkohol?“), Highschool-Stalking, usw. all diese Dinge sind in den USA bereits bekannte Nebenwirkungen. Vielleicht sollte man dabei im Hinterkopf behalten, dass E-Business 2.0 über soziale Netze und „Attention Economy“ funktioniert.

2nd International Symposium in Media Informatics

Am 16. November beginnt am Bonn-Aachen International Center for Information Technology, Bonn, Germany das 2nd International Symposium in Media Informatics. Themenschwerpunkt ist Social Software.

Auszug aus dem Programm und Schwerpunktfragen:
The use of new digital media tools such as blogs, wikis, tagging and other communicative or multimedia assets create new challenges for interdisciplinary research in media informatics.

  1. What are the effects when media get agency in digital networks?
  2. How can we trace and understand collective processes on the internet?
  3. What is the role of visualisation?
  4. What is the role of social software on change processes in organisations?
  5. Are there new models of labour, new processes and new forms of organisations possible?
  6. Will users be empowered or will lack of data protection and privacy set free new genies?
  7. What is the impact of tools supporting social structures on the emancipation and appropriation?
  8. Which are the impacts on design and media?
  9. Will they help facilitating new forms of democracy, digital rights, and overcome the digital divide?
  10. Or will the hunt for digital reputation lead to cow paths where only cows walk by?

Mensch im Web, wo bist Du?

Das Internet erfährt man normalerweise allein vor dem Computerbildschirm sitzend. Man trifft im Internet keine Menschenseele, schon gar nicht per Zufall. Um Menschen zu „treffen“ muss man schon Diskussionsforen aufsuchen und dort findet man eigentlich nur noch die „Spuren“ der Menschen in Form dessen, was Sie hinterlassen haben. Es gibt und gab mehrere Softwares die das ändern wollten darunter LLuna (hab ich selbst ausprobiert; siehe Screenshot rechts) und Eyebees (offenbar nicht mehr verfügbar), beide Lösungen stellen sogenannte Präsenztechnologie dar.

Zitat aus der Webseite des Lluna Anbieters:

Präsenztechnologien machen die Awareness (das Sein) der Menschen auf den Webseiten sichtbar (die Wahrnehmung) und stellen geeignete Kommunikatiosmöglichkeiten zur Verfügung. Die Open Source Technologie des „Jabber Virtual Presence Project“ ist eine dieser Präsenz Technologien. Sie zeigt menschliche Figuren direkt auf der Webseite an. Die Figuren sind wenige Zentimeter groß (96 Pixel hoch) und stehen auf einer ansonsten transparenten Ebene über der Webseite auf dem unteren Rand des Browsers.

Lluna installiert Zusatzkomponenten auf dem eigenen Computer, die permanent überwachen, welche Seiten man ansurft, ein zentraler Server des Dienstleisters prüft dann welche anderen Personen gerade die gleiche Web-Adresse im Browser anschauen wie man selbst. Diese Personen werden dann mit einem Icon bzw. einer Avatar-Figur unten am Bildrand der Webseite wie Fussgänger angezeigt. Doppelklickt man auf die Figuren, kann man sofort einen spontanen Chat mit diesen beginnen. Diese Software stellt so ein Gefühl von „Präsenz“ anderer Menschen im Web her. Ähnliches hat eyebees versucht im Jahre 2003 (siehe Screenshots rechts; anklicken für grosse Darstellung).

Aspekte dieser beiden Lösungen zur Awareness und Presence werden Teil meiner Dissertation sein. Mich interessiert inwiefern Personen im E-Learning eine Präsenzwahrnehmung aufbauen. Ein Werkzeug, das ich dafür vermutlich einsetzen werde ist der iGroup Presence Questionnaire (IPQ)-Fragebogen. Dieser konfrontiert den Befragten z.B. mit der Aussage „In der computererzeugten Welt hatte ich den Eindruck, dort gewesen zu sein…“ und fragt, inwiefern dies zutrifft. Vermutlich werde ich aber gezwungen sein weitere Fragebögen einzusetzen, um meine besonderen Fragen abbilden zu können.

Ich suche noch dringend nach weiteren Ansätzen und Softwarelösungen, die Menschen im Web sichtbar machen!
Über Adressen und Tipps in den Kommentaren würde ich mich deshalb sehr freuen.
:-)

Ausprobiert habe ich kürzlich z.B. auch Quek das ohne Plugins auskommt.

itzle_logoUpdate: 27.8.2006
Soeben habe ich Itzle ausprobiert. Das funktioniert sehr elegant mit dem Firefox und Derivaten (z.B. Mac Camino). Ist stark AJAX-basiert und schafft es so ohne plugin „Gemeinsames Browsen“ hinzubekommen. Viel Liebe zum Detail, z.B. wenn man die Fugur via Drag’n Drop umplatzieren möchte, dann bewegt sich die Figur animiert dorthin und – jetzt kommts – Fussspuren auf dem Bildschirm sind für wenige Sekunden sichtbar. Klasse gemacht!

Update 30.6.2009
Soeben hab ich nochmal versucht itze zu finden… scheinen das zeitliche gesegnet zu haben. Aber es gibt noch tolle Artikel drüber bei solutionwatch und mashable:

Ebenfalls in die Kategorie „Kontextbezogener Chat“ fällt sicher sidesparks.com; hier ein Beitrag bei Deusche Startups. (via Xing-Contact)

Why do I blog this? Die beiden Lösungen versuchen auf ihre Art Menschen im Web besser zu repräsentieren und damit das Web zu einem sozialeren Raum werden zu lassen. Weitere Systeme gibt es z.B. hier. Reizvoll ist es mit der aktivierten Lluna-Software einmal bekannte Webseiten von Magazinen wie dem Spiegel-Online anzusurfen und dann mit anderen Betrachtern der Webseite ohne Umwege über die Nachrichten/Meldungen zu diskutieren. Da bkommt man dann schon das Gefühl, als würde man sich an der Bushaltestelle mit fremden Menschen über Politik unterhalten.
Problematisch finde ich an beiden Lösungen, gleich mehrere Dinge:
(1) Für beide Lösungen muss eine Art Zusatzsoftware/Plugin installiert werden und sie funktionieren nur unter Windows. (2) Beide Lösungen verbrauchen unverhältnismässig viel Platz vom Bildschirm (Luna verdeckt ganze Bereiche der Seite mit den Avataren, Eyebees braucht den gesamten Rand links oder rechts neben einer Seite). (3) Die Visualisierungen haben eigentlich kaum Zusatzinformation ausser, der bekannten „Wer ist online?“-Funktion, die jetzt mit Figuren umgesetzt wurde (4) Die Softwares stellen eventuell bloß eine Lösung für ein Problem bereit, das es vermutlich nicht gibt, denn vielleicht will man ja beim Web-Surfen nicht unbedingt in Gesellschaft sein, sondern seine Ruhe haben?