Schattentheater: Distanz im Fokus

Als Schattentheater bezeichnet man neben dem Wayang und dem chinesischen Schattentheater die moderne Form des westlichen Schattenspiels, die in den 1980er Jahren entstand. (Quelle: wikipedia) Schattentheater ist eine sehr alte Kultur. Das Wayang-Puppentheater wurde sogar unter die Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen. [Bildquelle: Schattentheater Volksschule Hainfeld]

Die gezeigten Umrisse von Figuren, die durch eine Lichtquelle auf einer Leinwand sichtbar werden, sind aus der Sicht der Kommunikationstheorie vor allem eines: Eine massive Begrenzung der Information, die durch unseren Körper übermittelt wird. Der Körper, sonst das wichtigste Instrument des Menschen zu seiner Verständigung, wird reduziert auf einen Schatten. Einerseits findet eine Transformation vom 3D-Raum in den 2D-Raum statt, andererseits eine Ausblendung der Mimik und jeglicher Form von Kommunikation über z.B. das Aussehen via Kleidung. Einzig der Schatten als Abbild erscheint auf der Leinwand. Dem Schatten haftet etwas Unheimliches, Überwirkliches, Magisches, mit dem Verstand nicht Fassbares an. Kein Wunder, dass in den Volksmythologien vieler Kulturen der Schatten als Sitz der Seele und des Lebens beschrieben wird. Wer keinen Schatten hat, ist tot. (Quelle: Schattentheater) Was also kann es Lebendigeres geben, als einen Schatten?

Zwei Zitate von Roberto Casati, Autor des Buches „The Shadow Club“ (Quelle: Theater der Schatten):

„Die Form eines Schattens ist etwas Besonderes, weil sonst alles, was eine Form hat, materiell ist. Er ist reine Form.“
„Der Schatten ist vielleicht die einzige nicht abstrakte Erscheinung, die wahrhaft zweidimensional ist.“

Das Wesentliche an dieser Form des Theaters ist aus meiner Sicht die Distanzinformation. Als einzige, wird sie unverfälscht – ja sogar einfacher ablesbar als vorher – auf der Leinwand sichtbar. Ich erkenne wie weit weg ein Darsteller von einem anderen Darsteller steht. Das bedeutet jedoch, dass aus kommunikationstheoretischer Sicht vor allem proxemische Information – also Information der Distanzveränderung – in den Mittelpunkt rückt, gemeinsam mit dem Audio (Stimmen, Geräusche, Musik), das meist dargeboten wird.

Update 10.6.2007
In einem Kulturangebot in der Schweiz habe ich eine Einrichtung entdeckt, die sich u.a. auch mit dem Schatten beschäftigt hat: Das Sensorium in Rüttihubelbad. Ganz nebenbei bin ich dabei auf das „No Science Festival EXPLORA“ gestoßen, deren Organisator offenbar die European Science Event Association ist. Ich wußte nichtmal dass es die überhaupt gibt. Interessant ist aber, was die machen:

The „Carousel of Science“ is the main project [..] It connects 31 European institutions in 29 cities of 24 countries/states with each other. These events are a collection of shows and presentations, where various aspects of science are shown to the general public. The presentations happen mostly outside of the usual science places: on the streets, in public places, in railway stations etc. Of course, sometimes the public is also invited into the laboratories of universities and other research institutions. But the main motto is: „Bringing Science to People“ – and not bringing people to science.

Das erinnert mich an das FameLab.

Why do i blog this? Das Schattentheater hat mich auf eine Idee gebracht, die ich in Kürze hier demonstrieren möchte. Dabei geht es um einen essenziellen Teil meiner Dissertation. Das Schattentheater ist hervorragend geeignet einige der Funktionsprinzipien einer im Rahmen meiner Dr.-Arbeit entstandenen Softwarekomponente zu erklären. Wie gesagt, in Kürze mehr dazu…
Übrigens: Weil ich selbst mittlerweile das „E-„ nicht mehr mag, habe ich mich in meinem Blog von allen „E-“ getrennt. Bei mir gibt es absofort nur noch „Learning“, „Mail“, „Assessment“ usw.

„Lluna“ ist jetzt „Zweitgeist“

Ein System, das die Co-Präsenz von „Mitsurfern“ (also anderen Menschen die auch gerade im Web online sind) zeigt, ist Lluna (hier ein Presseartikel). In einem früheren Posting „Mensch im Web, wo bist Du?“ hab ich Lluna schonmal kurz vorgestellt. Nun hat sich Lluna umbenannt und macht einen Web2.0-adäquaten Neuanfang unter dem Namen Zweitgeist. Wobei das „nun“ etwas zuviel Aktualität heuchelt, denn seit November letzten Jahres ist das laut einer Bekanntmachung auf der Webseite bereits der Fall. Das Gründerportal forward2business hat aber erst kürzlich berichtet über zweitgeist, datiert doch ein Ankündigungseintrag im portal auf den 30. Januar 2007. Aber scheinbar haben die Macher von zweitgeist seit Lluna ein kleines Manko noch nicht beheben können, ich muss mir erst eine Zusatzsoftware dafür installieren. Itzle – ein ähnlicher Dienst – funktioniert z.B. völlig ohne Zusatzsoftware. Da es die benötigte Software derzeit nur für Windows gibt, scheitert es bei meinem Mac leider genauso wie schon vor einem Jahr, als ich Lluna ausprobieren wollte. Schade. Das Topcloud-Feature finde ich nämlich sehr spannend, das kann man durchaus als Web 2.0 Funktion oder gar als „Präsenz-Sharing“ bezeichnen.

Keyword popularity across the Blogosphere
This chart illustrates how many times blog posts across the Blogosphere contained the following keywords.

Offenbar wurde nun ein Geschäftsmodell aus der Idee gemacht, hinter dem neben Seed-Investor Jan Andresen, Christine Stumpf und Dr. Heiner Wolf (die Macher von Lluna) stehen, die auch schon www.webmobs.de aus der Taufe gehoben haben. Finanziert wird das Web2.0 Startup durch den High-Tech Gründerfonds, der mit 500T€ einen Anschub gibt.

Update 8.3.2007
Das Prinzip hinter der Zeitgeist-Software ist übrigens schon relativ alt. Schon 1996 wurde ein Artikel mit dem Titel „A Protocol for User Awareness on the World Wide Web“ veröffentlicht von Kevin Palfreyman und Tom Rodden. Die Schemazeichnung zu dem Funktionsprinzip sieht wie folgt aus:


Funktionsweise des Zweitgeist-Systems soweit ich sie verstanden habe

Mein Vorschlag zur Verbesserung: Man eliminiere den Client, indem man auf die Möglichkeiten zurückgreift, die der Browser bereithält und transportiere die notwendigen Daten über das Standardprotokoll HTTP zu dem Awareness-Server, also so wie in rot und grün von mir markiert.

Update 10.3.2007
Ein Gegenentwurf zu der vorgestellten Präsenz-Technologie wäre ein konsequent ausgeführte Absenz-Technologie. Tja, und wie das so ist in der Welt, die Idee dazu gibts schon und sie hat einen einprägsamen Namen: Isolatr. Da einem die Gesellschaft ja durch moderne Technologien immer dichter auf den Pelz rückt (sagt da jemand „Handy“?) und Privatheit zum Luxusgut avanciert, ist isolatr vielleicht gar keine so dumme Idee. Das Logo jedenfalls ist schonmal gelungen, und die FAQ der Seite ist ein Spass zum Lesen. (via pasta&vinegar)
Etwas möchte ich noch ergänzen: Zweitgeist hat vor wenigen Tagen eine Auszeichnung vom Bundeswirtschaftsministerium bekommen. (Meine innere Stimme sag leise: „Hmm, was sind schon Awards im heftigen Web 2.0 Business.“)

Update 22.3.2007
Und schon ist zweitgeist auch schon wieder Geschichte… denn jetzt heissen sie international überall aussprechbar Weblin und die Webseiten wurden wie man so schön sagt „relaunched“. Tja, da sieht man wieder wie schnell Web 2.0 ist, da gehören Namensänderungen natürlich in die Dynamik mit hinein.

Update 5.4.2007
Die Zweitgeist GmbH setzt offenbar auf Partnerschaften, für die weitere Marktbearbeitung, neu im Angebot ist eine spezielle Softwareversion des Weblin-Client, der speziell auf den Messenger von Windows Live abgestimmt ist.

Update 17.5.2007
Noch ein Dienst, um endlich allein zu sein: alleinr.de

Why do I blog this? Software, die die Präsenz bzw. Co-Präsenz von Personen im Netz sichtbar macht, und Ihre Auswirkungen ist ein Kerngebiet in meiner Dissertation. Daher finde ich die Entwicklung von Zweitgeist äußerst spannend! Ich hätte da auch einige Ideen…

Interpersonal Distance: SecondLife as a field for research.

SecondLife itself is stirring up the blogosphere since LindenLab claimed to have passed the 1 Mio-Users-Milestone. Attention is also drawn to SL by the scientific community, e.g. from the Virtual Human Interaction Lab of the University of Stanford, CA/US. Graduate Student Researcher Nick Yee (brief bio) together with other researchers presented a paper entitled „The Unbearable Likeness of Being Digital: The Persistence of Nonverbal Social Norms in Online Virtual Environments.“ (download as PDF). In this paper several interesting findings are proclaimed which I will try to discuss here now. One of them raised some criticism: Yee proclaims, that

If people behave according to the same social rules in both physical and virtual worlds even though the mode of movement and navigation is entirely different [..], then this means it is possible to study social interaction in virtual environments and generalize them to social interaction in the real world.

A poweruser of SL, Fiend Ludwig (seems to be his SL-Identity) wrote an article about the beforementioned paper of Yee’s group which was published in the Second Life Herald – a news mag, which writes about SL – and contains some interesting information. Fiend criticizes the published paper in many regards through his article „Eavesdropping in SL – The Unbearable Weight of Erroneous Assumptions“. The basic points will be listed now here [Accentuation added by myself!]:

  1. Of the five variables gender, interpersonal distance, mutual gaze, talking, and location only interpersonal distance and location can be accurately measured observing avatars while they communicate.
  2. Yee’s conclusions based on avatar gender and their relationship to real world observations are invalid, because gender cannot be figured out in the end.
  3. The mutual gaze measurements are also problematic because user attention is usually directed to the UI chat window anyway.
  4. To regard two avatars who are standing adjacent to one another as chatting with each other only in case if they are showing the typing animation may be misleading, because these may indeed be chatting because the keystroke-animation might be overridden by a replacement-animation.
  5. Yee excluded dyads that were observed as being more than 3.7m apart [AFAIK: The proxemic distance defined by E.T. Hall], as this was shown in real world studies to be the distance further than which social interaction does not occur, but in SL one can zoom the field of sight towards targets across long distance using the avatar’s camera without moving the avatar itself, which allows for chatting across long distance, also the use of SL instant messaging will bypass usual chatting and is usually invisible to any external observation

Fiend therefore concludes:

There may be patterns of social interaction observable in Second Life, these patterns may give the observer some insight into the behavior of avatars, and this insight may lead to generalization about the social norms of virtual online environments as a whole. But, without detailed information about the people who are driving these virtual interactions, drawing parallels between real world norms and observed ‚virtual norms‘ seems both erroneous and premature.

From my personal view, Fiend is right, but at the same time Yee did not claim to have found the ultimate truth and he points out several limitations of his study. What seems to be more interesting to me is the fact, that people behave in SL according to the same social rules as in real life. This has huge impact in regard to the design, development and testing of future software i.e. social software applications. Future development of applications need to take into account that networked multiuser-applications – like e.g. Google-Spreadsheets – are affected in their use by social rules which are working behind the scenes though this place seemed to be pretty non-social until now. But this in the end is not at all that surprising: To design software which fits to the task and the needs of humans was a target for development all the time. It also does not seem that surprising, people carry their behaviour patterns over to SL. this is true I think for any different cultural environment we enter, we always take ourselves with us. This means our habits, experiences and the complete history we run through.

Update 24.2.2007 23:55 Uhr
This question was also discussed on the Terra Nova site in detail in the thread named „The Prison of Embodiment“ which was started by Nick Yee himself. So much of the discussion around these findings can be found over there. (Thanks to Fiend Ludwig who gave this link in the SLH thread).

Update 8.3.2007
Regarding the issue of gender-guessing in virtual contexts a nice discussion can be found in a blog-post called „The Turing Game (Amy Bruckman)“ on misbehaving.net.

misbehaving.net is a weblog about women and technology. It’s a celebration of women’s contributions to computing; a place to spotlight women’s contributions as well point out new opportunities and challenges for women in the computing field.

[ Regard the blockquote above as my contribution to IWD (International Women’s Day 2007) ;-) ]

Update 29.5.2013
Another interesting thesis about this subject can be found at named Self-construal and interpersonal distance (full PDF in german language) by author Ute-Regina Roeder.

Why do I blog this? Yee and his group did research questions which are also very viable for my current work, though I did not do any research in a 3D or 2.5D virtual worlds but instead in a „Flat-Screen-2D-World“ of Business Applications. Having read the paper I will try to find out where I can do better than they did in the aspects which were criticized by Fiend Ludwig’s article in the Second Life Herald.